KULTUREXPORT INS SOGENANNTE SÜDDEUTSCHLAND
: Wir stricken weiter an unserer Stadtsimulation

VON KATHRIN RÖGGLA

Knirschender Kies, aufheulender Motor, tickender Blinker. Ich muss zugeben, ich bin jetzt Autofahrerin. Einen Sommer lang kreuz und quer durch Deutschland. Ich bin Autofahrerin und sehe jetzt zum Beispiel schon auf der Gegenfahrbahn all die Rückkehrer, die gen Niedersachsen fahren müssen – Schulbeginn, hurra! Und ich in die Gegenrichtung. Letzte Woche war Berlin dran, ich weiß es genau, vorletzte Hamburg, ich war sozusagen immer dabei, immer um eine Gegenrichtung bemüht, auf der Autobahn, und sah allen anderen zu, wie sie standen, wie sie sich quälten, wie die Hitze zuschlug. Ob sie angekommen sind? Ich weiß es nicht.

Es ist ja auch gar nicht so leicht, zurückzukommen. Meine Güte, was habe ich für Staunachrichten und Unfallberichte gehört! Man hat sich doch auf gewisse Gegebenheiten verlassen, z. B. hieß es, die A9 führt nach Berlin, die A13, die A2, doch stimmt es auch? Oder doch eher die A113 oder A115, A10, nein: Bundesstraßen! Ach, was weiß ich. Jedenfalls überall Baustellen. „Deutschland wird marode“, war auch der hitzige Titel zu Beginn des großen, großen Sommerlochs in zahlreichen Tageszeitungen. Nichts geflickt, nichts investiert, alles bröckelt und zerfällt, und jetzt lehnt die CDU auch noch eine Pkw-Maut ab, weil schon genug Geld vom Autobesitzer in die öffentliche Hand fließt, nur wohin, wohin? Zum Ende des Sommerlochs vermutlich, um dort zu versickern.

Mein Gott, Deutschland war mal das Land der Verkehrsinfrastrukturprojekte, der Autozulieferfirmen und VW-Zentralen! Begabte Provinzflughäfen, knisternde Cargo-Citys und Nürburgringe sowie Autoscooterstrecken bedeckten als irre Mobilitätsflecken das Land! Was früher Fürstentümer waren, sind heute Mobilitätsirrtümer mit ihrer jeweils eigenen Farbigkeit, deswegen schafft man sie nicht ab, wegen Lokalkolorit. Bringt Touristen, war der unbegründete Verdacht. Aber was ist eigentlich mit der Autobahn, der A100 quer durch den Treptower Park? Auch so eine Idee! Keine Ahnung. Und: Ist Berlin eigentlich eine Autostadt? Kürzlich hieß es, ja. Ich glaube nein, das heißt, ich gehe davon aus. War schon lange nicht mehr da.

Bis vor ein paar Stunden saß ich weit weg im sogenannten Süddeutschland und simulierte mit ihnen die Stadt. Das geht ungefähr so nach dem Muster: Einmal traf ich Leute auf dem Bahnhof von Samarkand, die sagten, sie wohnten am Maybachufer – das ist kaum zu toppen, oder? Und jetzt treffe ich Nachbarn beruflich im sogenannten Süddeutschland, weil dort das Geld sitzt – Kulturexport nennt man das – und wir sagen nur: Reuterkiez. Wir lachen und reden über Lokale, in die man in unserem Kiez jetzt so gehen kann, obwohl wir unseren Kiez sicher seit Wochen nicht gesehen haben, vielleicht seit Monaten. Unsympathisch, was? Hat trotzdem funktioniert. Wir fühlten uns wohler, irgendwie zueinandergehörig. Wir simulierten Berlin in der Fremde, das verbindet eben, und natürlich ist es ein gewisses Gespensterberlin, bestehend aus Lokalen und Tourismusproblemen, Gentrifizierung und Flughafendebakel. Danach erst sprechen wir wieder über Reisen als Herrschaftstechnik oder über den digitalen Alltag, was wir eben so beruflich machen, in gewissen Stiftungen und Workshopklöstern, in Konferenzsälen, auf Sommerfestivals und Literaturmarathons im platten oder hügeligen Land. Festspiele, so was gibt’s!

Zwischendurch dürfen junge Workshopteilnehmer kurze Neukölln-Berichte platzieren, Exwahlberliner, Wohnungssuchende, die ausrufen: „Ach, es ist eine einzige Castingshow, der Hipnessfaktor unerträglich, alles fake!“, was wir milde mit einem „Vor ein paar Jahren war es das reinste Paradies!“ quittieren. Klingt genauso fadenscheinig, denn im Grunde sind wir – ja, was sind wir? – „Pendlerschicksale!“, zuckt mein Kollege mit den Achseln, was soll man da machen. Weiterstricken an unserer Stadtsimulation mitten im Bayerischen. Oder Allemannischen. Und dann geht’s wieder auf die Autobahn, weiter zur nächsten Stiftung, zum nächsten Theater, zur übernächsten Konferenz in Städten, deren Namen fallen dir echt nicht mehr ein, aber sie bezahlen. Meist.