Berlin muss in die Lehre

AUSBILDUNG 8.000 Jugendliche in der Stadt stehen ohne Ausbildungsplatz da – auch, weil es in Berlin besonders wenige Stellen gibt. Neue Ansätze könnten die Situation aber verbessern

VON SEBASTIAN PUSCHNER
UND ALKE WIERTH

Jahr für Jahr bleiben Jugendliche in Berlin ohne Lehrstelle. Ende 2012 waren es über 1.000. Gut drei Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahrs gelten derzeit bei 4.750 unbesetzten Lehrstellen knapp 8.000 Jugendliche als suchend. Zwei Drittel von ihnen haben die Schule schon vor mehr als einem Jahr beendet.

Und selbst wenn Ausbildungsverträge geschlossen werden, halten sie oft nicht lange: Der Anteil vorzeitig gelöster Verträge lag 2012 in Berlin mit 33,6 Prozent 10 Punkte über dem Bundesdurchschnitt. Nur Mecklenburg-Vorpommern brachte es auf mehr. Zwar ist die Auflösung des Vertrags nicht gleichbedeutend mit einem Ausbildungsabbruch – manche wechseln nur Betrieb oder Beruf. Doch die Quote zeigt: Bei vielen Jugendlichen und Betrieben in der Stadt sorgt das Ausbildungssystem für so viel Frust und Ärger, dass sie sich lieber trennen, als sich drei Jahre lang zusammenzuraufen.

Mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, scheint zahlreichen Unternehmen da nicht erstrebenswert. In Berlin sind unterdurchschnittlich viele Betriebe ausbildungsberechtigt. Und die, die es sind, machen davon seltener als anderswo Gebrauch.

Zudem spielt die für den Ausbildungsmarkt wichtige Industrie hier keine ansatzweise so große Rolle wie etwa in Süddeutschland. In der boomenden Start-up-Szene sind Firmen oft zu klein und schnelllebig, um Existenzgründer von den Vorzügen der dualen Ausbildung zu überzeugen. Gleichzeitig gibt es überproportional viele junge Menschen aus armen Familien, für die der Weg zu einem Schulabschluss und einem Ausbildungsplatz weiter und steiniger ist als für andere.

Manche Betriebe allerdings haben die Herausforderung angenommen. Sie stecken viel Aufwand in die Ausbildung, um ihren Fachkräftebedarf selbst zu decken. Berlin blickt gerade auf zwei interessante Ansätze, die den Ausbildungsmarkt entspannen könnten: In Marzahn-Hellersdorf hat Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) sich selbst ein nachprüfbares Ziel auferlegt. Bis 2016 will er alle nach einer Stelle suchenden Jugendlichen in Ausbildung und Arbeit gebracht haben, mit individueller Begleitung von SchülerInnen ab der achten Klasse und Unterstützung der Schulen bei der Vernetzung mit Betrieben.

Die Stadt Hamburg hat im Herbst eine Jugendberufsagentur eingeführt. Statt Dutzenden von Zuständigen und zahllosen Maßnahmen bei unterschiedlichen Trägern wie in Berlin werden die Möglichkeiten dort seit Herbst in einer zentralen Einrichtung gebündelt. Der Berliner Senat will bis zum Frühjahr die Einführung einer solchen Agentur prüfen. Das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, um auch vonseiten der Politik dafür zu sorgen, dass kein Jugendlicher im System verloren geht.

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