Umkämpfter Knast

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Mit Panzern, Hubschraubern und Bulldozern ist die israelische Armee gestern früh nach Jericho gezogen, um die Mörder des israelischen Tourismusministers Rechavam Seewi aus dem Gefängnis zu holen. Zwei Palästinenser, ein Polizist und ein Häftling, starben dabei in einem Feuergefecht. Die Armee begann damit, das Gefängnis abzureißen. Am Abend ergaben sich die inhaftierten Männer.

Der Grund für die ungewöhnliche Aktion: Die radikalislamische Hamas, die die künftige palästinensische Regierung stellen wird, hatte zuvor die Befreiung der Inhaftierten angekündigt. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zeigte Bereitschaft, die Männer zu entlassen – sollten sie sich zum Gewaltverzicht bereit erklären. Am frühen Morgen waren zudem die seit vier Jahren postierten britischen und amerikanischen Sicherheitsleute aus Jericho abgezogen worden, die die Mörder bewachen sollten.

Ahmad Saadat, Chef der PFLP (Palästinensische Front zur Befreiung Palästinas), die für den Mordanschlag auf Seewi im Oktober 2001 verantwortlich gemacht wird, hatte sich bis zum Abend geweigert, das Gebäude zu verlassen. Über Lautsprecher hatten die Soldaten sämtliche Häftlinge aufgefordert, mit erhobenen Händen herauszukommen. „Wer sich nicht ergibt, wird erschossen“, so die schlichte Formel der Armee. Über 150 Männer kamen daraufhin heraus und wurden, zum Teil nur in Unterhosen, abgeführt.

Hintergrund der Eskalation ist das sogenannte Ramallah-Abkommen vom April 2002. Mit Hilfe US-amerikanischer Vermittlung kamen die Palästinenser und Israel überein, die zuvor von einem palästinensischen Militärgericht zu 12 bis 18 Jahren verurteilten Täter nicht an Israel auszuliefern, sondern in Jericho festzuhalten. Britische und amerikanische Wachposten sollten sicherstellen, dass das Abkommen von den Palästinensern eingehalten werde. Im Gegenzug verpflichtete sich Israel, den über den damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat verhängten Hausarrest aufzuheben.

Seit zwei Wochen erhielten die ausländischen Wachposten Drohungen von palästinensischer Seite und wurden deshalb am Dienstagmorgen abgezogen. „Die palästinensische Führung hat versagt, ihren Verpflichtungen nachzukommen und die Sicherheit der ausländischen Wachposten zu garantieren“, begründete der britische Außenminister Jack Straw die Entscheidung.

Zuvor hatte die israelische Führung bereits entschieden, die Männer in israelische Haftanstalten zu überführen. „Seewis Mörder werden im Gefängnis oder im Grab sein“, zitierte die Zeitung Ma’ariv den israelischen Chef des israelischen Geheimdienstes Avi Dichter.

Aufgebrachte Palästinenser protestierten gegen die Maßnahme, die Sicherheitsleute abzuziehen. Dies sei ein „Vertragsbruch“ der Engländer und Amerikaner. Im Gaza-Streifen wurde das britische Konsulat zuerst beschossen und dann in Brand gesteckt. Außerdem kam es zu einem Entführungsversuch.

Jamal Nazzal, Berater der Palästinensischen Autonomiebehörde, kritisierte die Militäroperation. Israel versuche so, „den Prozess der Liberalisierung und Politisierung der Hamas aufzuhalten“. Mit der Aktion werde „die Hamas zurück in die Gewalt getrieben“, meinte er.

Große Befriedigung zeigte hingegen Palmach Seewi, Sohn des ermordeten Tourismusministers, der in Israel der rechts-extremen Liste Nationale Union angehörte. „Wer es wagt, unsere Souveränität anzugreifen, bekommt die Antwort zu spüren“, kommentierte Palmach Seewi die Operation. Sie komme aber „leider vier Jahre zu spät“. Sein Vater war dem Racheanschlag der PFLP zum Opfer gefallen, nachdem die israelische Armee wenige Monate zuvor den Chef der Bewegung, Abu Ali Mustafa, mit einem Raketenangriff exekutiert hatte.

Der designierte palästinensische Premierminister Ismail Hanija plante, Achmad Saadat zu sich ins Kabinett zu berufen. Nun warnte er die israelischen Truppen davor, den Inhaftierten zu töten. „Aus puren Wahlkampfinteressen der Israelis ist das Leben und Blut von Palästinensern in Gefahr“, kommentierte er. „Das werden wir nicht akzeptieren.“