Im Angesicht von Hollywoods Burka

Der Fernsehjournalist Roger Willemsen macht sich auf die Suche nach einem „erwachenden Afghanistan“. Doch er findet ein Land vor, das noch immer schwer gezeichnet ist von Krieg und Unterdrückung

Nach den gerade publizierten Interviews mit Exhäftlingen von Guantánamo versucht der TV-Moderator Roger Willemsen den Menschen Afghanistans eine Stimme zu verleihen. Er tut das im Bewusstsein, dass bisherige literarische Annäherungen an Afghanistan sämtlich Kapitulationen waren. Ähnlich den militärischen Interventionen.

Der Widerspruch ist: hier die angeblich so alten deutsch-afghanischen Beziehungen, dort die seltenen literarischen Erkundungen aus deutscher Feder, fern journalistischer Ergüsse. Amerika oder Frankreich haben allein über den afghanischen Widerstandshelden Masud mehr Bücher produziert als in unseren Buchläden insgesamt zum Thema Afghanistan im Regal stehen. Willemsens Vademecum ist Robert Byrons „Weg nach Oxiana“.

Wo der britische Autor in den Dreißigerjahren steinige und beschwerlicher Pfade beschritt, folgt Willemsen eher geteerten Straßen, mit Neugier und ein wenig schlechtem Gewissen. Der Durchgangsmensch, der bloß mit Tempo passiert und flüchtig daherkommt – das ist er selbst. Tief schürfend ist Willemsen, wenn er unsere eigene Kultur reisend reflektiert. Verschleierte Frauen treffen auf die pornografische Freizügigkeit westlicher Werbung: „Der Umgang mit dem Nackten“, schreibt er, sei „Hollywoods Burka.“ Der eigentliche Plot geht so: Er und seine Begleiter planen eine Filmvorführung nur für Frauen im Kino von Kundus. Die Stadt soll anknüpfen an die Sechziger- und Siebzigerjahre, als es in Afghanistan Frauen in Minirock gab, auf der Leinwand wie in Wirklichkeit. Willemsen verfehlt das ersehnte Ziel: Das Kino ist zwar voll, aber keine Frauen unter den Zuschauern. „No woman!“, ruft ihm ein älterer Mann zu, nicht gehässig, aber triumphierend.

Bilder vom „erwachenden Afghanistan“ verspricht der Klappentext. Kräftiger gemalt sind jedoch einmal mehr die Pinselstriche eines durch Elend deformierten Opferstaats. Globalisierung, das ist richtig erkannt, ist für die Masse der Afghanen bisher eine Einbahnstraße. Angesichts so viel einseitiger Marktwerdung, die das Immaterielle wie auch islamische Tugenden verschlingt, scheint klar: Die Geringschätzung des Anderen durch unseren westlichen Fundamentalismus, so Willemsen, „provoziert eine fundamentalistische Antwort“. Damit ist der kulturelle Graben ziemlich gut beschrieben.

MARTIN GERNER

Roger Willemsen: „Afghanische Reise“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, 222 Seiten, 16,90 €