Komplize des Zuschauers

PORTRÄT Detroit, Wien, Lissabon, Angola: Viel unterwegs ist der amerikanische Performer Jeremy Xido, und vom Unterwegssein handelt seine Kunst. Als Gast der Tanzfabrik Berlin stellt er seine Projekte bei „Tanz hoch zwei“ vor

Im März und April jedes Jahr lädt die Tanzfabrik Berlin Choreografen, Performer und andere Künstler ein, Workshops für Profi-Tänzer anzubieten und in Lectures ihre methodischen Ansätze und Techniken zu erläutern. So wird unter dem Titel „Tanz Hoch Zwei“ Jahr für Jahr nicht nur weiter an der Vernetzung gestrickt, sondern auch ein sehr konkretes Weiterbildungsangebot gemacht. Zu den diesjährigen Gästen gehört Jeremy Xido, der aus Detroit stammt und heute vor allem in Wien stationiert ist.

VON FRANZISKA BUHRE

Aus dem Studio schallt kurz und heftig Kuduro, Musik aus Angola, die auch in Lissabon produziert wird. Jeremy Xido probt in der Tanzfabrik für seine Lecture-Performance „The Angola Project“, die er dort im Rahmen der Reihe „Tanz Hoch Zwei“, ein Weiterbildungsangebot für Performer, erstmalig in Deutschland zeigen wird. Es sei ein sehr persönliches Stück, erzählen er und der Dramaturg Igor Dobricic. Und auch eine Weiterentwicklung seines bisherigen Weges.

Xido lebt in Wien, wo er vor sieben Jahren gemeinsam mit Claudia Heu die Kompanie Cabula6 gegründet hat. Seitdem haben sie in ganz Europa, Nord-und Südamerika Performances, Audiotouren und soziale Interventionen entwickelt. An ungewöhnlichen Orten loten sie die Grenzen zwischen Realität und Fiktion aus und setzen bewusst auf Anordnungen, in denen Zuschauer und Performer selbst entscheiden können, wie weit der gegenseitige Austausch gehen kann.

Schule schwänzen

„Wir versuchen, dem Publikum Strukturen bewusst zu machen, in denen es sich schon befindet“, sagt Jeremy Xido über das Anliegen von Cabula6, die nach einem Stadtteil von Salvador da Bahia benannt ist und übersetzt auch „Schule schwänzen“ heißt. Xido versteht die Beziehung zum Publikum als Komplizenschaft und entwickelt Angebote für gemeinsame Spiele mit offenem Ausgang.

Heus und Xidos Trilogie „Life on Earth“ begann am Arbeitsplatz eines Nachtportiers in Wien, führte über eine Busfahrt durch Santiago de Chile und wieder zurück zum Nachtportier, der in der Flüchtlingssiedlung Macondo am Rand der österreichischen Hauptstadt lebt. Von November 2008 bis Juni 2009 bezogen Heu und Xido dort selbst Quartier unter Menschen aus 22 Ländern und nahmen an deren Leben auf dem Areal einer ehemaligen Kaserne teil.

Ihr Wohncontainer entwickelte sich zum Treffpunkt für Vernissagen, Feste, Wettbewerbe und Kino. Heu und Xido trotzten den zuständigen österreichischen Behörden ein temporäres Nutzungsrecht für eine Grünfläche in Macondo ab, auf der sie gemeinsam mit den Bewohnern einen neuen Garten anlegten. Ob ihn die Flüchtlinge allerdings weiter nutzen dürfen, steht noch infrage. In diesem Jahr erscheint ein Buch, das Geschichten rund um das Projekt versammelt.

Jeremy Xido stammt aus Detroit. Er ist „aufgewachsen in einer schwarzen Community, und Afrika war für uns so etwas wie ein Ort kollektiver Sehnsüchte.“ Mit diesen Erinnerungen an die Sehnsüchte seiner Jugend stieg er in das „Angola Project“ ein. Es begann in Lissabon, wo Xido im Frühjahr 2008 mit Interviews zum Thema Immigration machte. „Mir war am Anfang noch nicht klar, ob daraus ein Film oder eine Performance werden würde. Ich wollte mit Leuten über weiße und schwarze Afrikaner sprechen, weiße und schwarze Portugiesen nach ihren Beziehungen zu Angola fragen. Warum aber interessierte mich als Amerikaner dieses Land?“

Identität und T-Shirt

Mit Kung-Fu-Bewegungen und Copeira konnte Xido in Angola kommunizieren

Die Frage nach seinem Selbstverständnis in dieser Sache mündet für Xido in den Entschluss, Angola zu bereisen, um ein Drehbuch zu entwickeln. Mit Kamera und Presseausweis bewegte sich Xido schließlich mit den Zügen der „Benguela Railway“ von der Küste ins Landesinnere. Die Bahnstrecke wurde 1903 von Engländern auf ehemaligen Sklavenrouten angelegt, im Bürgerkrieg zerstört, nun kümmern sich chinesische Firmen um die Wiederinstandsetzung und den Betrieb der Linie. Xido begegnete chinesischen Jugendlichen, die begeistert den angolanischen Tanz Kuduro tanzen und die Landessprache Umbundo sprechen, und Portugiesen mit angolanischen Wurzeln, denen Afrika fremder ist als Europa.

Sein T-Shirt mit den chinesischen Schriftzeichen des amerikanischen Shaolin-Tempels öffnete manchmal Türen für Gespräche, mit Kung-Fu-Bewegungen ließ sich ebenfalls kommunizieren. Am Strand von Benguela fand sich Xido beim Capoeira-Spiel mit Einheimischen wieder.

Diese persönlichen Begegnungen waren für ihn das Entscheidende. Die Offenlegung des Arbeitsprozesses gehört für ihn dazu, wenn er nun mit Produzenten über sein Drehbuch und seine Ideen verhandelt. Das „Angola Project“ verweist damit zugleich auf den amerikanischen Traum vom Filmemachen und die Frage nach der eigenen künstlerischen Identität.

Wie Machtstrukturen spielerisch in Bewegung versetzt werden können, kann man bei Jeremy Xido am 27. März in einem Workshop in der Tanzfabrik Berlin erleben. Er nutzt Täuschungsmanöver und Albernheiten als produktive Strategien. Deren Potenzial, Positionen zu markieren und wieder zu verflüssigen, kennt er nicht zuletzt aus der Capoeira.

■ Jeremy Xido: Hoodwinks and Hijinks – the strategic use of deception and play, Workshop am 27. 3., 14–18 Uhr, Tanzfabrik Berlin, Möckernstraße 68

■ Jeremy Xido/Cabula6: The Angola Project, Deutschlandpremiere am 28. 3., 18 Uhr, Tanzfabrik Berlin