Die Bahn lässt die Mainzer stehen

STELLWERKCHAOS Aufsichtsrat Patrick Döring (FDP) fordert, dass urlaubende Bahner auf Ferien verzichten, damit in Mainz der Zugverkehr wieder läuft. Gewerkschaft ist empört. Kritiker sehen die Sparpolitik als Ursache

„Unsere Kollegen brauchen ihren Urlaub dringend“

ALEXANDER KIRCHNER (EVG)

VON RICHARD ROTHER

BERLIN taz | Spielzeugeisenbahner kennen das: Werden die Weichen nicht oder nicht rechtzeitig gestellt, bricht Chaos aus. Nur ein Totalstopp verhindert Zusammenstöße. Im Hobbykeller ist das kein großes Problem. Im Hauptbahnhof umso mehr. Konkret gerade in Mainz. Seit Tagen herrscht in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt vor allem in den Abend- und Nachtstunden Chaos im Schienenverkehr, weil das Stellwerk nicht ordentlich arbeitet. Es fehlt an Personal. Ab dem heutigen Montag soll es noch schlimmer werden – dann ist auch der Verkehr tagsüber betroffen, und zwar im Fern- und im Regionalverkehr.

Allein im Regionalverkehr sollen laut Fahrgastverband „Pro Bahn“ 30 bis 40 Prozent der Züge ausfallen. Grund ist der Personalnotstand im Mainzer Stellwerk. Von den 15 Fahrdienstleistern, die dort im Schichtbetrieb Dienst tun, fehlt mehr als die Hälfte; drei sollen sich im Urlaub befinden und fünf sollen krankgemeldet sein. Stellwerke sind komplexe Anlagen. Jedes hat seinen eigenen Tücken. Bedienen kann man sie erst nach einer mehrmonatigen Einarbeitung. Deshalb kann die Bahn nicht mal eben Fachleute von anderen Stellwerken einsetzen.

Daher lässt sich das Mainzer Problem nicht von heute auf morgen lösen. Dabei enden am kommenden Wochenende die Sommerferien in Rheinland-Pfalz und im angrenzenden Hessen. Dann sind wieder tausende Pendler im Rhein-Main-Gebiet auf reibungslosen Zugverkehr angewiesen. Bahnkenner vergleichen die Situation bereits mit dem S-Bahn-Chaos in Berlin, das den Nahverkehr der Hauptstadt jahrelang beeinträchtigte. Geradezu verzweifelt wirken die Bemühungen der bundeseigenen Bahn und der Politik, das Mainzer Chaos in den Griff zu kriegen. Patrick Döring, FDP-Generalsekretär und im Nebenjob Bahn-Aufsichtsrat, fordert: „Die urlaubenden Mitarbeiter sollten sofort auf Kostenerstattung der Bahn ihren Urlaub abbrechen und Dienst tun.“ Die Bahn will sich nun um eine vorzeitige Rückkehr der Urlauber kümmern. „Wir können das aber nicht erzwingen“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag.

„Dörings Vorschlag ist unsozial und inakzeptabel“, konterte der Chef der großen Eisenbahnergewerkschaft EVG, Alexander Kirchner, am Sonntag. „Unsere Kolleginnen und Kollegen brauchen ihren Erholungsurlaub dringend.“ Mitarbeiter im Mainzer Stellwerk hätten bereits mehrfach ihren Urlaub verschieben müssen oder seien aus diesem zurückgeholt worden. „Jetzt den Beschäftigten den schwarzen Peter zuzuschieben, ist einfach nur schäbig.“ Die Stellwerker arbeiteten jeden Tag bis zur Belastungsgrenze, müssten mit ständigen Dienstplanänderungen leben und hätten kaum noch Freizeit.

Die Gewerkschaft verlangt nun von der Bahn einen konstruktiven Dialog über eine sachgerechte Personalplanung. „Wir erwarten, dass die Einwände unserer Betriebsräte künftig ernst genommen werden“, sagte Kirchner. Hätte die DB auf die Warnungen der EVG-Betriebsräte gehört, wäre man nicht in diese Situation geraten. Deshalb sei der Gesetzgeber gefordert, die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter zu stärken.

Die Bahn zieht nach dem Chaos offenbar erste personelle Konsequenzen: Der Produktionsvorstand der Bahntochter DB Netz, Hansjörg Hess, muss gehen. Dies bestätigten gut informierte Kreise am Sonntag. Doch das sei nur ein Bauernopfer, sagte Sebastian Knopf, rheinland-pfälzischer Landeschef des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“. „Ursache für das Chaos ist die Sparpolitik, die Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn dem Konzern verordnete.“

Mehdorn hatte in seiner Amtszeit versucht, die staatseigene Bahn AG durch rigide Einsparungen fit für einen geplanten Börsengang zu machen. Der kam nie. Mehdorn musste 2009 gehen. Unter den Folgen der Sparpolitik aber leidet die Bahn bis heute.