Barbie versus Traktoristin

POLITIK DER REPRÄSENTATION Die Ausstellung „Gender Check. Männlichkeit und Weiblichkeit in der Kunst Osteuropas“ in der Warschauer Galerie Zacheta

An der Galeriewand wird gewarnt, die Ausstellung könne Kindergefühle verletzen

Für Agnieszka Morawińska ist es nur konsequent, dass die Ausstellung „Gender Check. Männlichkeit und Weiblichkeit in der Kunst Osteuropas“ in der Warschauer Galerie Zachęta ausgestellt wird. Für die Direktorin bedeutet das eine Fortsetzung der Tradition der Galerie, die sich nicht das erste Mal mit der künstlerischen Reflexion von Geschlechterrollen beschäftigt. An der weißen Wand der Galerie wird indes in Schwarz gewarnt, dass die Ausstellung zumindest Kindergefühle verletzen könnte, auch ein öffentliches Grummeln sei nicht auszuschließen, befürchtete man.

Während der Eröffnung waren derartige Töne vorerst nicht zu vernehmen. Die enormen Besuchermassen zeugten vor allem vom großen Interesse an der thematisch ausgerichteten Ausstellung. Dabei lockt sie nicht so sehr mit bekannten Namen und kanonischen Werken. Sicher, Marina Abramović ist dabei; auch Sofia Kulik oder Sanja Iveković sind vertreten. Doch sind das nur vereinzelt herausragende Namen auf einer Liste von insgesamt 200 KünstlerInnen, deren Werke in der gigantischen Kunstschau zu sehen sind.

Warschau ist nach Wien die zweite Station von „Gender Check“, kuratiert von der in Belgrad geborenen Bojana Pejić. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines aufwendigen Rechercheprojektes, in dem WissenschaftlerInnen aus 24 Ländern auf Initiative der Wiener ERSTE-Stiftung ein weitgehend ungeschriebenes Kapitel der osteuropäischen Kunst- und Kulturgeschichte aufarbeiteten.

In einer der ersten Ausstellungssektionen, die sich der Darstellung des Arbeitsalltags im Sozialismus widmet, findet man Darstellungen der bekannten Heroen der Arbeit und der real existierenden Tranktoristinnen. Ein Bild des polnischen Malers Wojciech Fangor, „Figuren“ von 1950, sei emblematisch für die gesamte Ausstellung, wie Bojana Pejić im aufschlussreichen Katalog schreibt. Denn selbst in der Hardcorephase des polnischen Sozrealismus gebe es sich widersprechende Repräsentationen von Geschlechterrollen. Eine „westlich“ gekleidete Frau steht im Bild einer Frau in sozialistischer Arbeitskluft gegenüber. In der Mitte ein Mann, wie die Frau mit Arbeitsgerät in der Hand bereit für den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Allein der Kopf des Mannes ist vor dem Hintergrund freigestellt und ragt in den Himmel – ganz in der Tradition der Porträts königlicher Machthaber. Die staatlich festgeschriebene Gleichberechtigung und Emanzipation wird hier zur hohlen Phrase, die patriarchale Struktur offenbart sich in der Figurenanordnung.

Bojić unterscheidet in der Auswahl nicht zwischen offizieller und inoffizieller Kunst. Somit wirft die Ausstellung auch ein Licht auf die Darstellung des vorherrschenden Familienmodells, das in der Malerei der DDR-Künstler Fritz Skade „Mutti kommt heim“ (1964) wie auch Wolfgang Mattheuers „Guten Tag“ (1976) eindeutig heteronormativ ausfällt. Während es im Ausstellungskapitel „Politiken der Selbstpräsentation“ um die weibliche Aneignung des traditionell männlichen Mediums des Selbstporträts geht, wird im nächsten Raum das heroische männliche Subjekt überdacht. Die Leistung der Ausstellung ist es, eine selten erreichte Zahl von Arbeiten männlicher Künstler zu zeigen, die alternative Entwürfe zur in der Epoche des Wettrüstens dominierenden aggressiven Maskulinität vortragen. So etwa die hermaphroditische Selbstinszenierung in den Fotocollagen des Kroaten Sven Stilinović oder die Selbstdarstellung als gebrochenes Malergenie von Ismet Mujezinović.

Obwohl es praktisch keine feministischen Strömungen im Staatssozialismus gab, ist in der Kunstpraxis eine Kritik an den Verhältnissen evident. So weist die Thematisierung von Weiblichkeit in den Videoarbeiten der polnischen Künstlerinnen Natalia LL oder Ewa Partum Ähnlichkeiten mit den Entwicklungen in Westeuropa auf. Während Natalia LL in ihrem Film „Konsumkunst“ von 1971 die Reize des weiblichen Körpers noch ausstellt und mit Konsum (von beispielsweise Bananen) verschränkt, interveniert Partum in die Objektivierung der Frau als Fetischobjekt des männlichen Blicks und lässt ihren Körper präparieren und künstlich altern, wie in der Videoperformance „Wandel. Mein Problem ist das Problem einer Frau“ (1979) dokumentiert ist.

Die Arbeiten aus der Zeit nach dem nach dem Systemwechsel von 1989 wirken weniger konzeptuell als unmittelbar in ihrer Aussage. Nicht unbegründet spricht Bojana Pejić im Katalog von den „Demokratien mit männlichem Gesicht“. Im Kapitel „Kapital und Gender“ wird deutlich, dass die wiedererlangte Nationalstaatlichkeit den Hass auf das Fremde und Andersartige schürte und die ökonomische Öffnung zur Marktwirtschaft besonders für Frauen Massenarbeitslosigkeit bedeutete. Sie mussten nun das Politische im Privaten neu verhandeln, da sie aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen waren.

Elżbieta Jabłońskas Selbstporträts als „Supermutter“ im Batmankostüm in der Küche und Sohn auf dem Schoß wirken hier wie kraftlose Hilferufe. Doch Schreie sind eben nicht subtil.

Eines der letzten Werke ist das bedrängendste. In der Zweikanal-Videoinstallation des Kroaten Igor Grubić sind Szenen von Schwulenparaden in Belgrad und Zagreb vom Anfang der 2000er-Jahre zu sehen. Nazivokabular und Anspucken sind die vorherrschenden Kommunikationsarten der Umstehenden, die selbst vor körperlichen Angriffen auf die DemonstrantInnen nicht zurückschrecken und damit dokumentieren, mit welcher Gewalt hier abweichenden Geschlechterkonzepten begegnet wird. Es ist daher auch als politisches Zeichen zu werten, dass sich die Galerie Zachęta als einzige Galerie aus den beteiligten Ländern bereiterklärte, die Ausstellung auszurichten. Nicht zuletzt da im Juli die Europride, Europas größtes Event Homo- und Transsexueller, in Warschau stattfindet. PHILIPP GOLL

■ Bis 13. Juni. Galerie Zacheta, Warschau. Katalog (Buchhandlung Walther König) 32 €, deutscher Textband 9 €