Schöner scheitern hinter Glas

Jan Pappelbaum ist der Architekt des bürgerlichen Unglücks in der Schaubühne. Dabei liebt der Bühnenbildner die ästhetischen Mittel, mit denen er die Menschen so unbarmherzig ausstellt. Denn die Theatermacher erkennen sich in ihren Helden

VON FRIEDERIKE MEYER

Durchgestylt, modern und kalt – diese Worte liest man oft, wenn es um die Bühnenbauten von Jan Pappelbaum geht. „Nora“ und „Hedda Gabler“, die gefeierten Dramen der letzten Jahre an der Schaubühne, lässt der Ausstattungsleiter in schicken Villen spielen. Sie erinnern an Bauten von Richard Neutra oder Mies van der Rohe. Bei dessen gläsernem Farnsworth House zum Beispiel hat er abgeschaut, als er für Hedda Gabler ein Zuhause schuf. Er sperrte die frustrierte Ehefrau zwischen eine Glas- und eine Betonscheibe, stellte ein ultramodernes Sofa dazwischen und überdachte das Ganze mit einem Spiegel. Für Ibsens „Nora“ kreierte er ein Wohnzimmer mit Treppe, fließenden Grundrissen, Stahlrohrsesseln und einem Aquarium mit lebenden Fischen. „Ich lasse das Unglück der Dramen in einer ästhetischen Welt spielen, die für Wohlstand, Problemlosigkeit und Glück steht“, sagt der 39-Jährige. Pappelbaum verwendet eine Ästhetik, wie sie Lifestylemagazine als erstrebenswert anpreisen: viel Glas und Spiegel, massive Scheiben und filigrane Stahlstützen.

Noch vor zehn Jahren dachte Jan Pappelbaum, er würde einmal Häuser im wahren Leben bauen. Heute bringt er die Architektur der klassischen Moderne auf die Bühne. Pappelbaum ist ausgebildeter Architekt. Den Weg zum Theater habe er nie strategisch geplant, das Schicksal, so sagt der 1966 in Dresden geborene Sohn einer Schauspielerin und eines Schauspielers, habe ihn immer wieder verführt. Weil ein Sprachfehler ihn hinderte, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, studierte er in Weimar Architektur. An der Hochschule gründete er eine Theatergruppe und lernte auf dem Weimarer Kunstfest den damaligen Regiestudenten Thomas Ostermeier kennen. Ihm folgte er nach zwei Jahren Ausstattungsleitung am Frankfurter Theater am Turm Anfang 2001 an die Schaubühne.

Pappelbaum mag den Purismus, die Architektur der Moderne, den russischen Konstruktivismus der 20er-Jahre. In klaren Räumen, so sagt er, kann er sich auf das Wesentliche konzentrieren – auch wenn das Fehlen des Wesentlichen gerade das ist, was die Schauspieler in diesen Hüllen vorführen.

Die Atmosphäre in seinem Büro am Kurfürstendamm gleicht ein wenig Hedda Gablers Haus: karg, sortiert und ungemütlich. Einziger Blickfang zwischen Planschränken, Arbeitstischen und Bühnenmodellen ist ein Regal mit winzigen Möbeln im Maßstab 1:20, ein Miniaturfundus für den Modellbauer.

Hier produziert er mit seinen Mitarbeitern etwa sieben Bühnenbilder im Jahr. Maximal sechs Monate liegen zwischen der ersten Idee und der Premiere eines Stücks. Das Bühnenbild ist ein Gemeinschaftswerk und entsteht ein bisschen wie beim richtigen Bauen: „Ich bin der Architekt, das Theater ist der Bauherr, denn die müssen es ja bezahlen.“ Und der Regisseur? „Ist die Bauherrengattin, die natürlich weiß, wie’s letztendlich aussehen soll.“

Jan Pappelbaum fragt sich, warum man für jede Theateraufführung ein neues Bühnenbild entwirft. Er könnte sich vorstellen, einen Archetypus zu entwickeln, der für mehrere Stücke funktioniert und jeweils nur leicht variiert wird. In Ansätzen führt er das im aktuellen Drama „Trauer muss Elektra tragen“ vor. Wieder abstrahiert er den Archetypus der modernen Villa: Auf einem Podest mit glänzenden schwarzen Bodenfliesen stellt er die sich gegenseitig mordenden Mitglieder der Familie Papenberg aus wie Schmuckstücke in einer Vitrine. Mit den dunkel getönten Scheiben der Glaswand habe er einen Bogen schlagen wollen zur westdeutschen Architektur der Nachkriegszeit, die für einen Aufbruch der neuen Bundesrepublik in die Demokratie steht und jene Vergangenheit überwinden wollte, die die Figuren des Stücks wieder einholt. „Die Bundestagsbauten von Paul Baumgarten und Egon Eiermann in Bonn haben eine wunderschöne Modernität und extreme Leichtigkeit“, schwärmt der Bühnenbildner.

Er möchte keine Deko entwerfen, keine Prospekte oder künstlichen Landschaften, sondern ein benutzbares Spielmittel. Das Podest, die simpelste Form einer Bühne, die Verabredung von Theater überhaupt, ist ein Prinzip seiner Entwürfe. Auf ihm will er die Schauspieler präsentieren. Mit der nur 1,50 Meter tiefen Bühne für die Inszenierung von Benedict Andrews „Blackbird“ stellt er sie gar bis auf die Poren aus wie eine scharfe Fotografie.

Wenn Jan Pappelbaum über seine Bühnenbilder spricht, geht es um Material und Ästhetik. „Ich möchte die Zuschauer verführen“, sagt er. „Viele neue Materialien altern nicht mehr, die gehen nur noch kaputt.“ So wie der blassgrüne PVC-Belag des Bühnenbodens und das billige Kantineninterieur, worin er „Blackbird“ spielen lässt. Das scheint die Kehrseite des Erbes der Moderne, ihr Schicksal in der Massenproduktion.

Innerhalb der letzten beiden Jahre reiste „Nora“ zu Gastspielen in über 20 Städte. „Hedda Gabler“ ist zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen: Die Ästhetik der Bühnenbilder hat großen Anteil an der Eindringlichkeit, mit der man das Gegen-die-Wand-Fahren der emanzipatorischen Entwürfe im Gedächtnis behält.

Pappelbaum erklärt ihre Signatur so: „ ‚Nora‘ und ‚Hedda Gabler‘ sind die radikale Modernisierung bekannter Klassiker. Wir machen hier an der Schaubühne Stücke, die inhaltlich und ästhetisch ‚wir‘ sind.“ Das heißt, die Figuren in den Stücken sind meist zwischen 30 und 40, so wie die Mitarbeiter des Theaters. Und er sagt weiter: „Die bürgerlichen Realismen von Ibsen passen wunderbar in unsere Zeit, weil sie wieder aktuell sind. Die Gesellschaft ist ja wieder sehr bürgerlich geworden.“

Wie bürgerlich das Leben der Schaubühnenmitarbeiter ist und von welchen Häusern sie träumen, darüber verrät er zumindest so viel: „Alle am Theater kriegen gerade Kinder. In ein paar Jahren, wenn wir dann alle unsere Häuser in der Uckermark gekauft haben, müssen wir was anderes machen.“