Die Zeit der weißen Westen ist vorbei

Als „Mütter ohne Grenzen“ verscheuchten türkischstämmige Frauen im vergangenen Jahr Drogendealer aus Kreuzberger Hinterhöfen. Einige von ihnen gehen als „Mütter setzen Grenzen“ neue Wege. Sie bieten Betreuung bei Missbrauch oder Wohnungsnot und fordern die Legalisierung weicher Drogen

von MARIA DALDRUP

Die „Mütter ohne Grenzen“ – kurz MOG – machten im vergangenen Jahr Schlagzeilen, als sie nachts rund ums Kottbusser Tor patrouillierten. Sie trugen weiße Westen mit applizierten Fledermäusen und erschreckten Dealer mit Taschenlampen. Mit ihren Aktionen schafften sie es bis in den Spiegel, wohl auch, weil sie so gar nicht ins Bild der türkischen Mutti passen wollten. Ein paar von ihnen beschreiten nun neue Wege – unter dem Namen „Mütter setzen Grenzen“. Regelmäßig bieten die 13 Mitglieder – bis auf zwei sind es türkischstämmige Frauen – Arbeitsgemeinschaften für Opfer von Missbrauch, Zwangsheirat, Drogen und Wohnungsnot an.

„Dass wir uns mit den Nachtaktionen Gehör verschafft haben, war okay. Doch es hat die Gruppe nur bekannt gemacht“, sagt Güner Arkis von „Mütter setzen Grenzen“. „Es gab inhaltliche Auseinandersetzungen“, erzählt die dreifache Mutter. „Die Frage war: Erstarren wir in blindem Aktionismus?“ Um Frontenbildung zu vermeiden, haben sie sich schließlich von MOG gelöst.

Derzeit helfen sie über 15 Frauen, machen mit ihrer Homepage www.muettersetzengrenzen.de und Flyern auf ihre Arbeit aufmerksam. Die Termine der AGs bleiben zum Schutz der Opfer geheim, sagt Deniz Kilic, eine der wenigen kinderlosen Frauen bei „Mütter setzen Grenzen“. Nach einem Anruf oder einer E-Mail stehe aber die Tür offen. Bei brisanten Fällen werde mit den Betroffenen in Kleingruppen gesprochen – manchmal bis in die Morgenstunden. Danach werden die nötigen Schritte eingeleitet: der Gang zum Psychologen, ein Termin beim Rechtsanwalt oder die Suche nach einer neuen Bleibe. Es gehe, sagt Arkis, bei „Mütter setzen Grenzen“ um die Frage: Was ist dein Problem? Das ist auch der Grund, meint Kilic, warum viele Frauen gerade zu ihnen kommen, oft nachdem sie schon in etlichen Frauenhäusern gewesen seien. „Wir geben ihnen nicht nur Schutz“, sagt Kilic, „sondern auch Hilfe zur Selbsthilfe.“

Ein Beispiel für die individuelle Betreuung ist eine türkische Mutter. Sie wurde als Kind missbraucht, während der Ehe von fremden Männern vergewaltigt. Ihr Sohn ist drogenabhängig. Rund um die Uhr wird sie von einem Mitglied von „Mütter setzen Grenzen“ betreut. Ihren Mann hat sie vorerst der Wohnung verwiesen. Man wolle aber die Familien nicht zerstören, betont Arkis, sondern vermitteln. Der Ehemann hat Kontakt zur Initiative.

Auch Drogen sind Thema von „Mütter setzen Grenzen“. Sie fordern: „Weiche Drogen müssen legalisiert werden.“ Dass Zwölfjährige mit Extacy und LSD dealen, sei keine Seltenheit, erzählt Kilic, Drogenprobleme und -kriminalität finde man rund um den Kotti. Doch mit dem Zeigefinger auf die Jugendlichen zu weisen hilft nicht, findet „Mütter setzen Grenzen“. Die Jugendlichen fühlen sich nicht verstanden, vermutet Arkis, auch weil sie weder richtig Deutsch noch Türkisch sprächen: „ ‚Deukisch‘ nenne ich diese Sprache.“ Aus Frustration reagieren viele nonverbal – mit Gewalt und Kriminalität. Helfen könne man nur, wenn man das Vertrauen der Jugendlichen gewinne. Deshalb die Forderung nach Legalisierung von Cannabis, denn, so Arkis: „Ich will als Mutter wissen, was mein Kind raucht.“ Nur so könne man die Problematik mildern. Denn weiche Drogen seien zwar verboten, aber auf dem Kiez geduldet. Diese Diskrepanz verstehe ein Kind nicht – und deshalb auch nicht das Verbot von harten Drogen wie Extacy und LSD.

Finanzielle Unterstützung vom Bezirksamt erhält „Mütter setzen Grenzen“ nicht. „Wir arbeiten absolut ehrenamtlich und unabhängig“, sagt Kilic. Das sei auch gewollt. Wenn sie sich mit anderen Organisationen im Kiez ergänzen könnten, würden sie das tun. Zunächst gebe es aber so viel zu tun, dass die Kapazitäten intern eingesetzt würden.