: „Keine Aktion Sorgenkind“
Gerd Schönfelder, der gestern seine zwölfte Goldmedaille bei Paralympics gewonnen hat, über seine Plakettensammlung, den ständigen Kampf um Sponsoren und eine mögliche Reise nach Vancouver
INTERVIEW MARKUS VÖLKER
taz: Herr Schönfelder, wir sind beim Zählen durcheinander gekommen – wie viele paralympische Goldmedaillen haben Sie genau gewonnen?
Gerd Schönfelder: Nach meinem Riesenslalom-Sieg zwölf.
Sind Sie ein Star?
In der Szene schon. Aber in der Öffentlichkeit bin ich kein Star.
Sie tauchen derzeit in der „Tagesschau“ auf und in den „heute“-Nachrichten.
Ja, und die Einschaltquoten sollen gar nicht schlecht gewesen sein.
Wie reizvoll ist der Rummel?
Eher stressig. Man muss sich aber die Zeit für die Medien nehmen, weil Medienpräsenz für unseren Sport sehr wichtig ist. Nur so können wir ihn nach vorn bringen.
Über den Paralympics wird so viel berichtet wie nie zuvor , ARD und ZDF senden, auch Eurosport und Phoenix, viele überregionale Zeitungen haben Reporter nach Turin und Sestriere geschickt.
Ja, es wird von Mal zu Mal mehr. Und wir werden im Gegenzug ja auch professioneller – das wird wahrgenommen.
Aber ist es nicht merkwürdig: Für ein paar paralympische Tage ist der Zuspruch groß und danach flaut alles wieder ab?
Wir als Behindertensportler sind nicht die Einzigen, die im Abseits stehen. Das betrifft auch nichtbehinderte Sportler: Kanuten oder Tischtennisspieler etwa.
Horst Köhler, der Bundespräsident, war in Italien …
… und ich hab ihn gleich zweimal getroffen.
Sie haben auch Exbundeskanzler Gerhard Schröder kennen gelernt und Edmund Stoiber. Haben Sie das Gefühl, vereinnahmt zu werden?
Denke ich nicht. Gerade Horst Köhler war sehr interessiert. Er hat natürlich einen Bezug zum Behindertensport, weil er eine blinde Tochter hat. Er weiß genau, woran es uns fehlt.
An Geld?
Ja, natürlich geht es um Förderung und Sponsoren. Köhler hat im Vorfeld der Paralympics die großen DAX-Firmen angeschrieben: Allianz, Telekom, Lufthansa. Die waren angeblich aufgeschlossen. Ein paar Firmenvertreter sollen sogar nach Turin und Sestriere gekommen sein.
Glauben Sie, dass viel Geld fließen wird?
Erwartungen habe ich keine. Ich bin vorsichtig, was diese Dinge angeht. Aber wenn ein Horst Köhler so etwas anschiebt, dann hat das mehr Gewicht, als wenn es unser Verband macht.
Die Deutsche Bahn hat jahrelang den Behindertensport-Verband mit einer fünfstelligen Summe unterstützt, wollte aber aus Imagegründen nicht als Sponsor genannt werden, hat sich diese Einstellung gewandelt?
Ich hoffe. Es geht darum, dass die Leute merken, dass wir nicht arme, kleine Behinderte sind. Wir wollen keine Almosen und Spenden, eine Aktion Sorgenkind schon gar nicht.
75.000 Euro, dieser Betrag steht für die deutschen Paralympics-Sieger bereit. An Kati Wilhelm, Sylke Otto und Co. hat die Deutsche Sporthilfe kürzlich über 600.000 Euro ausgeschüttet.
Das ist ein eklatantes Missverhältnis. Dabei ist es für mich nach der Reduzierung auf nur noch drei Behindertenklassen (sitzende Sportler, stehende und blinde; d. Red.) gar nicht mehr so einfach, Goldmedaillen zu gewinnen. Und dann kommt noch dazu, dass, je mehr Sieger wir haben, der Betrag immer kleiner wird. Diese 75.000 Euro müssen wir uns alle teilen.
Auf Ihrer Internetseite listen Sie zwölf persönliche Sponsoren auf. Das ist eher untypisch für einen Behindertensportler, oder?
Das stimmt, typisch ist das nicht. Das ist ein Sponsorenpool, den ich mir erarbeitet habe. Ich habe halt das Glück, einige Erfolge vorweisen zu können, deswegen fällt es mir leichter als anderen Athleten, Geldgeber zu überzeugen. Trotzdem ist es ein ständiger Kampf.
Wie schwer war es, sich diesen Status zu erkämpfen?
Ziemlich hart. Erst nach den Spielen in Salt Lake City ging es ein bisschen leichter. Mit vier Goldmedaillen war schon etwas zu bewegen. Auch die Auftritte bei Johannes B. Kerner, „Blickpunkt Sport“ im Bayerischen Rundfunk und bei „Menschen 2002“ haben wohl etwas gebracht.
Sind Firmen auf Sie zugegangen?
Nur eine einzige.
Wie professionell betreiben Sie Ihren Sport?
Ich bin eigentlich Elektrotechniker, mache das aber seit Salt Lake City nicht mehr. Meine Eltern haben ein Elektrogeschäft, da mische ich ein bisschen mit. Bei einem Freund jobbe ich ab und zu im Sportgeschäft. So kann ich mich ganz gut auf meinen Sport konzentrieren.
Herr Schönfelder, denken Sie oft an Ihren Unfall zurück?
Eher selten. Ich fühle mich nicht so behindert, wie man auf den ersten Blick denken mag. Ich kann eigentlich alles alleine machen. Ich fühle mich nicht groß eingeschränkt. Ich habe gute Techniken entwickelt, um den Alltag zu bewältigen. Sicherlich gibt es Momente, wo ich daran denke. Manchmal.
Würden Sie das, was Ihnen damals mit 19 passiert ist, gern ungeschehen machen?
Hmm … einerseits ja. Auf der anderen Seite möchte ich nicht darauf verzichten, was ich im Sport erlebt habe. Also lassen wir es so, wie’s ist. Es ist ja gut gelaufen. Die Erfolge, die Bekanntheit, fünfmal das Silberne Lorbeerblatt, die Nominierung zum Laureus-Sports-Award.
Wollen Sie auch in Vancouver 2010 an den Start gehen?
Gute Frage. Momentan weiß ich es nicht. Aber es ist ja so, dass ich ohne Sport nicht kann. Er ist lebenswichtig für mich. Ich brauche ihn. Andererseits bin ich kein Youngster mehr mit 35. Es müsste halt finanziell ein bisschen leichter gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen