die taz vor zwölf jahren
: Arbeit und ein Kessel Buntes

Für US-Vizepräsident Al Gore war schon der Diskussionsprozeß ein Erfolg. Der Mann muß entweder sehr bescheiden oder aber unglaublich naiv sein. Denn außer den erzkonservativen Briten hat aus Detroit niemand den Eindruck mitgenommen, bei dem großspurig angekündigten Beschäftigungsgipfel habe es sich um ein produktives Treffen gehandelt. Was dort an Maßnahmen in die Runde geworfen wurde, ruft unter Arbeitsmarktexperten höchstenfalls noch müdes Lächeln hervor. Billiglöhne, Technologieoffensive, Zinssenkungen, Einschränkungen der Sozialleistungen, lebenslange Bildung, Flexibilisierung, Deregulierung – ein Kessel Buntes, hilflos offeriert als Rezeptur gegen die festgefahrene Weltwirtschaft. Wohin sich retten nach der Havarie? Die Antwort kennen weder Kapitän noch Steuermann, geschweige denn die Passagiere. Die meisten der in Detroit diskutierten Rezepte, ob aus der neoliberalen oder keynesianischen Mottenkiste, gehen am Kern der Krise vorbei. Es ist höchste Zeit, sich nicht länger über untaugliche Rezepte den Kopf zu zerbrechen, sondern über jenes Gesellschaftsmodell nachzudenken, in dem man künftig leben will. Fortschrittsglaube und Ressourcenausbeutung haben schließlich den Lebensstandard gerade in den Industriestaaten höher gehoben, als er sein dürfte. Und die Nationalökonomie braucht künftig ein intelligenteres Betriebssystem als das jener Manager und Wirtschaftspolitiker, die mit dem Joy-Stick am liebsten den nächsten Konkurrenten niedermachen und dabei die Ressourcen mit in die Jagdgründe befördern würden. Erwin Single, 17. 3. 1994