Aha-Effekte im internationalen Diskurs

KUNSTBETRIEB Behutsame Geschmacksbildung in einer in Sachen zeitgenössische Kunst eher konservativen Stadt. Das Kunsthaus Potsdam feiert sein zehnjähriges Bestehen mit einer Ausstellung über das Glück des Sammelns

„Wir sind ein lebendiger und gut vernetzter Organismus“

RENATE GRISEBACH, KUNSTHAUS

VON NINA APIN

„Mit Kunst Konflikte lösen“ steht hinter Renate Grisebachs Kopf. „Gut, nicht?“, sagt die Erste Vorsitzende des Kunsthauses Potsdam und strahlt, als habe sie sich den Satz selbst ausgedacht. Er stammt aber von Claus Bacher. Der Jurist aus Berlin hat eine Leidenschaft für zeitgenössische Kunst. Seine Wohnung und seine Kanzlei zieren knallige Skulpturen von Imi Knoebel, minimalistische Aquarelle von Johannes Gecelli oder ein Objekt des Chemnitzer Künstlers Florian Merkel. Dass der Sammler Bacher einen kleinen Teil seiner Werke nun öffentlich im Kunsthaus zeigt, ist tatsächlich Renate Grisebach zu verdanken.

Die umtriebige Kunsthistorikerin, die seit acht Jahren ehrenamtlich die Geschicke des privaten Vereins lenkt und unermüdlich neue Ausstellungen konzipiert, klapperte sämtliche Vereinsmitglieder ab, die privat Kunst sammeln, und schwatzte ihnen einen Beitrag zur aktuellen Ausstellung ab: „Das Glück des Sammelns. Werke aus privatem Kunstbesitz“ heißt nun die Schau, in der Bacher und sieben andere Sammler aus Berlin, Potsdam, Kleinmachnow und Caputh eine Auswahl ihrer Schätze präsentieren – und dazu die Gründe und Motive für das Anhäufen moderner Kunst, mit der man eben vielleicht auch Konflikte lösen kann.

Die 55 Werke unterschiedlichster Stilrichtungen, unter anderem von Cornelia Schleime, Karl Horst Hödicke, Neo Rauch oder Katharina Sieverding, erzählen nicht nur von den persönlichen Vorlieben einiger betuchter Herrschaften, sondern öffnen den Blick für die Ausdrucksmöglichkeiten von Gegenwartskunst. „Eine Anstiftung“ nennt Grisebach das Gezeigte: „Die Besucher der Ausstellung sollen sich fragen: Wo ist der rote Faden, der die einzelnen Werke verbindet? Was interessiert mich selbst am meisten?“

Noch viel mehr Menschen müssten sammeln, findet Renate Grisebach. Um Kunst für die Nachwelt zu erhalten. Und den Künstlern mehr Verdienstmöglichkeiten zu geben. Überhaupt muss Kunst unter die Leute und die Leute müssen zur Kunst. Gerade in Potsdam gebe es zwar ein kulturinteressiertes Publikum und viel Geld, aber es herrsche noch „ein ziemlich konservatives Kunstverständnis“, das es Zeitgenössischem schwer mache.

Das Kunsthaus Potsdam arbeitet seit zehn Jahren an der behutsamen Geschmacksbildung: Mit Einzel- und Gruppenausstellungen, einer jährlichen Fotoschau und einer „Jahresgabe“ – exklusiv für den Verein und seine Mitglieder hergestellte Arbeiten.

Das Haus auf einem sanierten Kasernengelände in der Jägervorstadt hat einen langen Weg zurückgelegt: Ende 2002 bauten die Berliner Künstler Hubertus von der Goltz und Frank Michael Zeidler das komplett verfallene ehemalige Pferdelazarett der Garde-Ulanen-Kaserne zum Atelierhaus um und gründeten gemeinsam mit kunstinteressierten Bürgern einen Verein. Kein provinzieller Regionalverein wollte man werden, sondern am internationalen Diskurs teilnehmen. Die erste Ausstellung bestritt der holländische Künstler Armando, der in Potsdam lebt.

Ehrenamtlicher Enthusiasmus

Weil der Verein außer persönlicher Kontakten zu Künstlern und viel Enthusiasmus nichts hatte – kein Geld, keine hauptberuflichen Mitarbeiter, kein Büro – fanden in der ersten Zeit nur sporadisch Vernissagen statt. Erst mit der Wahl von Renate Grisebach als Vorsitzende setzte eine Professionalisierung ein: Die Berlinerin, die bis heute ehrenamtlich arbeitet und dazu fast täglich nach Potsdam pendelt, richtete als Erstes ein Büro ein und ging energisch auf die Suche nach neuen Mitgliedern.

Bald hatte der Verein nicht mehr 30, sondern fast 250 Mitglieder. Sponsoren wie die Bank Credit Suisse, die eine jährliche Fotoausstellung finanziert oder der örtliche Rotary Club waren gefunden, Grisebach konnte bald bezahltes Aufsichtspersonal und eine Pressefrau anstellen. Auch eine rege Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Potsdam Museum oder der Berlinischen Galerie gibt es jetzt. Und eine wenn auch bescheidene Förderung von 20.000 Euro im Jahr aus Landesmitteln.

„Wir sind ein lebendiger und gut vernetzter Organismus“, sagt Grisebach zufrieden und schwärmt von den Pastaessen im Garten, dem Höhepunkt einer jeden Mitgliederversammlung. Überwiegend Berliner, darunter Prominente oder Kunstexperten wie die ehemalige Leiterin des Hauses am Waldsee Barbara Straka, sind unter den Mitgliedern. Aber auch rund 45 Künstler aus der Region. Für die ist die jährlich unter einem gemeinsamen Motto stattfindende Gruppenausstellung eine gute Plattform – die Hoffnung auf Einzelausstellungen dämpft Grisebach aber bereits beim Ausfüllen des Mitgliedsantrags: „Wir sind keine Produzentengalerie – die Kriterien, nach denen wir ausstellen, sind streng professionell.“

Die meisten Ausstellungen konzipiert und realisiert sie selbst, gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Wilhelm Neufeldt: „Laufzeit sechs bis acht Wochen, ein bis zwei Tage Abbau, dann sofort die nächste Vernissage“, beschreibt sie den stressigen Rhythmus, den sie sich im Kunsthaus selbst auferlegt haben: „Wir müssen im Gespräch bleiben, sonst haben wir keine Chance.“ Mehr als zehn Tage Urlaub am Stück sind bei diesem Tempo nicht drin. Renate Grisebach sagt, sie könne es noch ein bisschen aushalten. Langfristig müsse aber mehr Geld her – und irgendwann auch einmal ein Generationenwechsel. „Ein frischer Blick auf die Szene kann nie schaden“, sagt die Kunsthistorikerin.

Die aktuelle Ausstellung jedenfalls ist ein Publikumsrenner. Das liegt wohl auch daran, dass private Sammler und ihre Aktivitäten derzeit im Gespräch sind: Die Pläne des Potsdamer Milliardärs Hasso Plattner, eine Villa im Stadtzentrum zur privaten Kunsthalle auszubauen, sind in Potsdam umstrittenes Dauerthema. Renate Grisebach würde es begrüßen, wenn es eine große Institution für Zeitgenössisches gäbe, die im Gegensatz zum unterfinanzierten städtischen Potsdam Museum auch Geld für Ankäufe hat. Lachend zeigt sie auf das Zitat des Sammlers Siegfried Grauwinkel: „Ich sammle aus Leidenschaft und ertrage gern die Leiden, die es schafft.“ Je mehr Sammler ihre „Leiden“ – in Grauwinkels Fall ein sehr konsequentes Ensemble aus konkreter Kunst, vieles davon in seiner Lieblingsfarbe Blau – mit der Öffentlichkeit teilen, desto besser, findet die engagierte Ausstellungsmacherin, die auch selbst zu Hause sammelt.

Ein Objekt, das im Besitz des Berliner Ehepaars Engler ist, eine Neonröhre, die ein leicht spiegelndes schwarzes Quadrat beleuchtet, hängt auch bei ihr zu Hause. Die in einer Edition erschienene Arbeit von Margarete Dreher heißt: „Ich, die Ikone“. Eine Anspielung auf Malewitschs Schwarzes Quadrat, das in Badezimmer oder Garderobe ein ironischer Kommentar zur zeitgenössischen Überhöhung des Individuums wird.

Solcher Aha-Effekte wegen, sagt Grisebach, müsse man Kunst sammeln. Oder wenigstens sehen so oft wie möglich. Der Kunstverein Potsdam bietet dazu viele Möglichkeiten.

■ „Das Glück des Sammelns“: Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9, Mi. 11–18 Uhr, Do./Fr. 15–18 Uhr, Sa./So. 12–17 Uhr, bis 25. August