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Die Macht der Vernunft

Der Computerspezialist und Philosoph Joseph Weizenbaum sucht beharrlich nach „Inseln der Vernunft“. Er bleibt optimistisch, auch wenn es derzeit wenig Anlass dazu gibt

VON DIETER GRÖNLING

Auf die Frage, ob er sich vom Computerwissenschaftler zum Computerkritiker entwickelt habe, antwortet Joseph Weizenbaum ebenso schlicht wie scharfsinnig: „Ich bin kein Computerkritiker. Computer können mit Kritik nichts anfangen. Nein, ich bin Gesellschaftskritiker.“ Und die Frage nach dem Einfluss, den der Computer auf unsere Gesellschaft hat, kehrt er um: Welchen Einfluss hat die Gesellschaft auf den Computer, seine Entwicklung und seine Bedeutung. Denn daraus ergibt sich die Frage nach der Wertfreiheit eines Werkzeugs: Es kommt ganz darauf an, was man damit macht.

Bei diesen beiden Themen wird Weizenbaum offenkundig aufbrausend in dem gerade erschienenen Interview-Buch „Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom?“, das die Münchener Journalistin Gunna Wendt mit ihm publiziert hat. Und es ist gut, dass diese Stellen nicht im Nachhinein geglättet oder harmonisiert wurden. Genau so ist der widerspenstige Querdenker Weizenbaum. Sein wichtigstes Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ in den späten Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts war eine Abrechnung mit dem unbedingten Glauben an die Möglichkeiten der Computer und brachte die ganze Zunft gegen ihn auf.

Heute ist Weizenbaum 83 Jahre alt – und hat kein bisschen von seiner berühmten analytischen Schärfe verloren, mit der er seit Jahrzehnten gegen die Technologiegläubigkeit kämpft. Manchmal tut er es auch mit treffsicherem Humor. So hat er sich für das Buch des deutsch-amerikanischen Raketentechnikers Wernher von Braun „I aimed for the stars“ („Ich strebte nach den Sternen“) den netten Untertitel einfallen lassen: „but sometimes I hit London“ („aber manchmal traf ich London“) – eine Anspielung auf von Brauns NS-Vergangenheit.

Die Entwicklung der Computertechnik wurde weitgehend vom Pentagon vorangetrieben und finanziert, das hat er in all den Jahrzehnten am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) hautnah mitbekommen. Dort hat er vor genau 40 Jahren Eliza entwickelt, ein Computerprogramm, das die Welt in Aufruhr versetzte – weil es völlig missverstanden wurde.

Es waren die Anfänge dessen, was heute als „Künstliche Intelligenz (KI)“ bezeichnet wird. Das Programm sollte die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen einem Menschen und dem Computer per natürliche Sprache aufzeigen. Das geschah, indem ein vollständiger Satz eingetippt wurde und die Antwort auf dem Bildschirm erschien. Weizenbaum wählte die Simulation eines Psychotherapeuten, weil es einem solchen Gesprächspartner erlaubt ist, keinerlei Wissen über seinen Gesprächspartner oder Sonstiges zeigen zu müssen, ohne dass dadurch seine Glaubwürdigkeit verloren geht.

Etwa 200 Muster und Antworten hielt das Programm bereit. Die Leute waren verblüfft über das Einfühlungsvermögen, das ein Computer entgegenbringen konnte. Weizenbaum, der sein Werk eher als Parodie verstand, war entsetzt über die vielen Psychiater, die Eliza in ihrer psychotherapeutischen Arbeit einsetzen wollten.

Inzwischen werden Eliza-Nachfolger als so genannte Chatbots eingesetzt – Dialogsysteme im Internet-Chat, denen man nicht unbedingt anmerkt, dass man mit einem Computerprogramm kommuniziert. Die neuesten Systeme halten etwa 100.000 Antworten parat, was auf die immens gestiegene Speicherkapazität zurückzuführen ist. Mit Intelligenz hat das absolut nichts zu tun – was Computern selbstverständlich fehlt, ist die Fähigkeit, eigene Ideen zu entwickeln.

Mit Eliza wurde Weizenbaum weltbekannt. Es wäre jedoch grundfalsch, die Bedeutung dieses großartigen Denkers und Philosophen auf ein einfaches Computerprogramm oder seinen Job als Professor des Departments of Computer Science am MIT zu reduzieren. Diese Schublade wäre viel zu eng. Im Buch ist das auf jeder Seite zu spüren. Weizenbaum ist jemand, der ganz dicht an die Dinge rangeht, sich alles mit scharfem Blick genau anschaut – und über Konsequenzen nachdenkt, so unbequem sie auch sein mögen. Manchmal wird es von seiner Gesprächspartnerin sanft gebremst, aber vielleicht ist das auch gut so, denn sonst wäre es ein wirklich dickes Buch geworden, das heutzutage kaum noch jemand liest.

Klar wird: Vom Internet hält er nicht viel; zum Fernsehen als vermeintlicher Quelle der Wahrheit habe sich eben der Computerbildschirm gesellt. Beide Bildschirme verstärkten einander. In der Konsequenz bedeute das eher Desinformationsflut. Das Internet sei ein großer Müllhaufen – mit einigen Perlen darin, die man aber erst mal finden müsse. Seine „Inseln der Vernunft“ indes findet er hin und wieder, etwa wenn tausende gegen den Irakkrieg demonstrieren. Dementsprechend energisch wendet er sich gegen die weit verbreitete, weil bequeme Auffassung, dass man als Einzelner doch nichts tun könne.

Auch die autobiografischen Passagen sind äußerst spannend und öffnen den Blick auf das Berlin von 1936. Aus der Sicht eines 13-jährigen jüdischen Jungen erzählt er, wie sein Vater, ein Kürschnermeister, Ärger mit den Nazis bekam und mit der ganzen Familie in die USA emigrieren musste. Und er berichtet, wie er selbst sich in den USA zurechtfand, die Sprache lernte, seine Liebe zur Mathematik entdeckte und auch lernte, sein Anderssein zu akzeptieren und notfalls zu verteidigen.

Seit dieser Zeit schaut er sich die Dinge ganz genau an, auch die scheinbar selbstverständlichen in seiner unmittelbaren Umgebung. Dass er Computerprofessor am MIT wurde, ist eher ein Zufall. Aber ein glücklicher, denn Joseph Weizenbaum wahrt stets die kritische Distanz zu allen technischen Hypes – so auch gegenüber den geballten Cebit-Neuheiten, die oft genug niemand wirklich braucht.

Joseph Weizenbaum mit Gunna Wendt: „Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom? Auswege aus der programmierten Gesellschaft“. Herder Verlag, Freiburg 2006, 216 Seiten, 19,90 Euro

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