In der Mühle des Systems

Peinliche Harte-Jungs-Rhetorik und endlos viele Job-Episoden: Iain Levison schildert in „Abserviert“ seine miesen Erfahrungen in der amerikanischen Dienstleistungsgesellschaft

von ULRIKE MEITZNER

Iain Levisons Thema ist Arbeit. Sein Roman „Betriebsbedingt gekündigt“, der letztes Jahr auf Deutsch erschien, spielt ein auch hierzulande zunehmend vertrautes Szenario durch: In einer Industriestadt – am Michigansee, Michael Moore lässt grüßen – schließt die einzige Fabrik, Hunderte werden arbeitslos. Levisons Protagonist, demoralisiert und von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt, würde für Geld alles tun und holt sich neues Selbstbewusstsein als Auftragskiller. So lange, bis er des Tötens müde wird, und durch die Liebe ein bisschen geläutert. Am Ende winkt ihm, komplett mit Frau und Tankstelle, ein Stück Paradies im Vorgartenformat.

Betriebsbedingt gekündigt“ ist eigentlich Levisons zweiter Roman. Jetzt erscheint auch sein Erstling, „Abserviert. Mein Leben als Humankapital“ auf Deutsch. „A Working Stiff’s Manifesto: A Memoir of Thirty Jobs I Quit, Nine That Fired Me, and Three I Can’t Remember“, so der Originaltitel, ist ein Erfahrungsbericht aus der Zeit, als Levison noch kein bekannter Jungautor war, sondern ein abgebrannter Englischabsolvent, der sich auf dem US-Arbeitsmarkt durchschlagen musste. Deswegen ist die Bezeichnung „Roman“ irreführend: Sie verspricht einen Plot, der die innere Entwicklung seines Protagonisten möglich machen würde.

„Abserviert“ hingegen endet, wie es beginnt: Levison blättert beim Morgenkaffee in den Stellenanzeigen, der Kreis schließt sich. Obwohl das Buch aus einer endlosen Reihung von Job-Episoden besteht – Levison als Fischfiletierer, Komparse, Kellner, Koch, Möbelpacker, Heizölfahrer und so weiter –, sind Handlung wie Autor in einen gigantischen Wiederholungszwang gefangen, der unfreiwillig treffend das Funktionieren des Kapitalismus abbildet. Ist der doch ein geschlossenes System, das rasend stillstehende Tretrad, aus dem die Hamsterchen nicht herausfinden.

Kunstlos, streckenweise lieblos wie schnell hingeworfene Notizen, übt sich Levison in der Beschreibung des immer Gleichen. Die Leute, die Jobs, die Firmenstrukturen, alles Anekdoten, die er in nüchtern-schnodderigem Ton abhakt. Wie kurze Schnappschüsse leuchten sie die traurige Realität der US-Dienstleistungsgesellschaft aus.

Als Supermarktangestellter wird Levison bei der Anstellung mit einem Benimmhandbuch beglückt. Videoüberwachung und soziale Kontrolle schaffen ein Klima, das kreiert, was es krampfhaft vermeiden will: Die Angestellten klauen wie die Raben. Levison verwöhnt seine Mitbewohner beim Abendessen mit Mitbringseln von der Deli-Theke. Bald darauf wird er entlassen, weil jemand anders seine Arbeit billiger macht.

„Teile und herrsche“ ist das Prinzip der hässlichen neuen Arbeitswelt, wunderbar effektiv, wenn es darum geht, Solidarität unter Arbeitnehmern zu verhindern. Die fügen sich. Es gilt: Die Hölle sind die anderen. So wacht in einem schicken Restaurant eine Heerschar von Untermanagern über die Arbeitsmoral der wenigen Angestellten. Lächeln sollen sie, auch beim Zwiebelschneiden. Aufzusteigen ist unter diesen Bedingungen gar nicht erstrebenswert. Denn auch als Untermanager muss man Gemüse schnippeln – das Personal ist knapp.

Aus dem Höllenkreis des Geldverdienens auf Teufel komm raus gibt es anscheinend kein Entrinnen. Nicht einmal in Alaska, Traumziel aller Eskapisten und Naturfreaks. In der Welt der Jobs steht der hohe Norden einfach für gut bezahlte Knochenarbeit in der industriellen Fischverarbeitung: 16 Stunden am Fließband Krebse ausnehmen oder im Kälteraum Kisten stapeln. Das kalte Wasser im undichten Ölzeug, die von einer schweren Eiskiste gebrochene Nase kann man fast fühlen, Gänsehaut und harter, kalter Metallrand inklusive. Traurig, wenn direkt über Neuling Levison im Fangraum Fische abgeladen werden, Makrelen- und Rotbarschfluten, die ihn fast zerdrücken, ehe er sich frei schaufeln kann. Kein Wunder, dass sich hier die Spreu vom Weizen trennt.

Aus der Position des alten Hasen schildert Levison, wie Collegebüblein die open hours am Fließband und auf dem Fangschiff nicht durchhalten. Seine Harte-Jungs-Rhetorik ist manchmal peinlich. Schlimm wird es, wenn das Fehlen jeglichen Gefühls als angesagte Coolness verkauft wird.

„Mit entspannter Objektivität“ beobachtet Levison seinen frisch zusammengeschlagenen Mitbewohner. Und schiebt pseudoabgebrüht den Spruch nach vom Spaß, der gerade erst angefangen habe. Nach dem Besuch auf einem koreanischen Fangschiff sind die dreckigen Lebensbedingungen der anderen ein Grund, zufrieden zu bilanzieren: „Es ist gut, ein Amerikaner zu sein, sogar auf der untersten Sprosse der Leiter.“

Im Ganzen hinterlässt „Abserviert“ einen schalen Nachgeschmack. Zum einen ist die Reihung der Joberlebnisse auf Dauer schlicht langweilig. Zum anderen beschleicht einen das Gefühl, dass sich hier einer hat ausbeuten lassen, um daraus Kapital zu schlagen. Levison ist kein Wallraff. So, wie er sich darstellt, ist er ein opportunistisches Rädchen im Getriebe, auch und gerade, wenn er zynisch konstatiert, wie kaputt das alles ist. Die Pose des unbeteiligten Beobachters, des anständigen Jungen, der nur in Ruhe seinen Job machen will, ist lediglich Feigenblatt für den reaktionären Seufzer: Es ist halt, wie es ist. Dann doch lieber zur Knarre greifen.

Iain Levison: „Abserviert. Mein Leben als Humankapital“. Aus dem Englischen von Hans Therre. Matthes & Seitz, Berlin 2006, 256 Seiten, 19,80 Euro