Der Luxuspilz aus der Provence

Beim Trüffelkochkurs gibt es fünf Tage lang Trüffel satt. Vom Rührei mit Trüffeln über Pasta mit Trüffeln bis hin zur Mousse au Chocolat. In Richerenches findet jeden Samstag zwischen November und März der berühmteste Trüffelmarkt Frankreichs statt

VON SABINE HERRE

Es ist eines der teuersten Lebensmittel der Welt und riecht wie nasse Socken. Oder wie ein zu stark gechlortes Schwimmbecken. Oder wie Schokolade: Die Tuber melanosporum, die Périgord-Trüffel. Auf den Märkten Südwestfrankreichs zahlt man in diesem Winter bis zu 1.300 Euro fürs Kilo, im Berliner Kadewe sind es sogar 2.000 Euro.

Dabei handelt es sich bei der Trüffel eigentlich nur um einen einfachen Pilz. Der freilich nicht über, sondern unter der Erde wächst. Um ihn überhaupt finden zu können, haben die Menschen in der Provence jahrhundertelang Schweine dressiert. Denn diese erinnerte der so facettenreiche Geruch der Trüffel an den des Ebers.

In der Küche des „Château les Sacristains“ wird mit der teuren Knolle heute nicht gegeizt. 350 Gramm Schwarze Trüffel – Kostenpunkt rund 450 Euro – sowie zusätzlich Trüffeljus im Wert von 250 Euro wandern in getrüffelte Blumenkohlsuppe und Trüffelrisotto. Eigentlich war das Château einmal die Versorgungsdomäne von Benediktiner- und Zisterziensermönchen des Languedoc. Doch nun findet hier ein Trüffelkochkurs statt. Für das gute Dutzend Teilnehmer gibt es fünf Tage lang Trüffel satt. Vom Rührei mit Trüffeln über Pasta mit Trüffeln, Perlhuhn mit Trüffeln bis hin zur Mousse au Chocolat, natürlich auch diese mit Trüffeln. Und dazwischen, damit Geruchs- und Geschmackssinn nicht von den so vielfältigen Trüffelaromen erschlagen werden, etwas „Einfaches“: frisch gefangene Dorade zum Beispiel. Die Austernbänke von Mèze und damit auch das Mittelmeer liegen praktisch vor der Haustür.

Leiter des Kurses ist Rainer Hensen, der normalerweise nicht zwischen Weinbergen und Olivenhainen, sondern in der „Burgstuben-Residenz“ in Randerath bei Aachen kocht. Und dafür vom Gourmetführer Michelin 2002 mit einem Stern dekoriert wurde. Wenn den 44-Jährigen die Trüffel ruft, bringt er es fertig, 430 Kilometer weit bis zu dem mit zwei Sternen mehr ausgezeichneten Kollegen Harald Wohlfarth ins schwäbische Baiersbronn zu fahren. Weil der gerade weiße Alba-Trüffel mit zweierlei Petersilienpüree auf der Karte hat.

Doch Hensen ist auch einer von momentan 21 sogenannten „Bio-Spitzenköchen“, einer 2003 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Landwirtschaft gegründeten Kochvereinigung. 100 Prozent der in seiner Küche verwendeten Zutaten sind, so verkündet es zumindest die Homepage der Burgstuben-Residenz, Bioprodukte. Aber wie passt das eigentlich zusammen: Bioprodukte und Trüffel, Nachhaltigkeit und Luxus?

Tatsächlich hängt die Geschichte der Périgordtrüffel stark mit der Entwicklung der industrialisierten Landwirtschaft zusammen. Denn die Tuber melanosporum zählt zu den Mykorrhizapilzen, lebt also in Symbiose mit Bäumen. Gibt es viele Eichen und Haselnusssträucher, geht es ihr gut; wird die extensive zugunsten intensiver Landwirtschaft aufgegeben, der Boden zu stark gedüngt, schnell wachsende Fichten angepflanzt, verschwindet sie.

Noch um 1900 wurden in Südfrankreich pro Jahr bis zu 2.000 Tonnen Trüffeln gefunden – was überraschenderweise der Reblaus zu verdanken war. Als sie Mitte des 19. Jahrhunderts die Weinberge befiel und diese gerodet werden mussten, entstanden stattdessen ausgedehnte Eichenwälder. Auf Schubkarren brachten die Bauern die Trüffeln damals aus den Wäldern und aßen sie wie ganz normale Pilze. Der Niedergang begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Da die Zeit und die Menschen fehlten, um die Trüffelhaine zu pflegen, verwilderten diese schnell. Inzwischen ist die jährliche Ernte auf 20 bis 40 Tonnen zurückgegangen, in schlechten Jahren sind es weniger. Allerdings ist es – im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung – durchaus möglich, die Trüffel künstlich zu züchten. Und dies schon seit fast hundert Jahren. Bereits 80 Prozent der südfranzösischen Trüffeln stammen heute von künstlich angelegten Hainen.

Das Prinzip der Trüffelvermehrung ist eigentlich ganz einfach: Eine Trüffel wird püriert und mit der Erde eines jungen Haselnussstrauches vermischt und dieser gepflanzt. Der Boden für diesen künftigen Trüffelbaum muss allerdings stark kalkhaltig sein, viel Sonne und etwas, aber nicht zu viel Feuchtigkeit bekommen. Nach vier bis acht Jahren kann man dann Trüffeln ernten. Wenn alles gut geht. Ganz so einfach wie der Kartoffelanbau ist die Trüffelzucht nicht.

Kein Wunder also, dass der Handel mit Trüffeln ein wenig dem Handel mit Drogen ähnelt. In Richerenches zum Beispiel. Hier, mitten in der provenzalischen Vaucluse, eine halbe Autostunde von Orange entfernt, findet an jedem Samstag zwischen November und März der berühmteste Trüffelmarkt Frankreichs statt. Doch der „normale“ Marktbesucher, der meint, in Richerenches eine Trüffel fürs Abendessen kaufen zu können, wird die über 800 Jahre alte Stadt des Tempelritterordens enttäuscht wieder verlassen. Ja, vermutlich hat er den ganzen Vormittag über nicht einmal eine Trüffel zu Gesicht bekommen. Sondern nur gerochen.

„Hier auf dem Trüffelmarkt haut der eine den anderen übers Ohr, und jeder versucht, dabei der Beste zu sein“, erzählt Tristan Knapp, ein Freiburger, der seit Jahrzehnten Périgordtrüffeln nach Deutschland importiert. „Die Trüffeln werden nicht auf Marktständen angeboten, sondern im Kofferraum versteckt. Und sie werden nicht einzeln, sondern in Portionen von 500 bis 1.000 Gramm verkauft, ich darf sie aber nicht alle überprüfen, sondern nur an der einen oder anderen riechen.“ Die Folge: Zwischen die echten, teuren Périgordknollen werden die billigeren, weniger aromatischen Winter- oder immer häufiger auch chinesische Trüffeln gemischt. „Die werden dort wie Kartoffeln geerntet“, erzählt Knapp. Doch damit ist die betrügerische Fantasie der Provenzalen keineswegs erschöpft. Manche Bauern schmieren Erde um die Trüffeln, um sie größer zu machen. Füllen sie mit Schrot, um das Gewicht zu erhöhen. Wer hier nicht ein Vermögen nutzlos loswerden will, muss schon eine gute Nase haben. Der Trüffelhandel in Richerenches ist eine illegale Angelegenheit. Von der jeder weiß. Auch die zwei Polizisten, die regelmäßig über den Markt streifen. Schließlich wollen auch sie den Preis für Trüffeln nicht durch zusätzliche Verkaufsteuern in die Höhe treiben. Denn auch sie sind Trüffelliebhaber.

Das Luxusprodukt Trüffel, das so viel kriminelle Energie freisetzt, wird in der Provence am liebsten auf die denkbar einfachste Art gegessen. Mit Rührei oder Omelette, und so mag sie auch Biospitzenkoch Rainer Hensen am liebsten. Schließlich zeigt die Trüffel dabei eine besondere Art der Nachhaltigkeit: Legt man sie zusammen mit Eiern in eine Frischhaltebox, nehmen diese nach rund zwei Tagen das Aroma des Pilzes an.

Überhaupt entfaltet sich das Trüffelaroma nicht dann am besten, wenn der Koch mit großer Geste allerdünnste Trüffelscheiben über die Pasta hobelt. Sondern wenn er sie in Butter dünstet. Was auf manchen Genießer vorher nicht geahnte Auswirkungen hat. „Die Trüffel macht die Frauen nachgiebiger und die Männer liebenswürdiger“, stellte der französische Feinschmecker Brillat-Savarin schon vor 200 Jahren fest. In Butter gedünstet riechen die Trüffeln plötzlich nicht mehr wie nasse Socken. Sondern wie Moschus. Oder – so ein weiteres Zitat – wie „eine Liebesnacht“ …