Entscheidung auf den Straßen

Vor den heutigen Großdemonstrationen gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes wird in Frankreich über die möglichen Folgen für die Politik diskutiert. Bei nächtlicher Randale wurden 187 Menschen verhaftet

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Am Tag vor den für heute geplanten neuen Großdemonstrationen in Frankreich gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes für junge Beschäftigte häuften sich gestern in Paris besorgte Appelle in alle Richtungen. Der Staatspräsident rief zum „Dialog der Sozialpartner“ auf. Die ChefInnen der Opposition sowie die Organisationen der StudentInnen riefen zur totalen Rücknahme des umstrittenen „Contrat première embauche“ (CPE) auf. Ein früherer Studentensprecher und heutiger PS-Spitzenpolitiker mahnte den Staatschef, „kein Drama zu riskieren“. Und der Innenminister rief dazu auf, die in der Vornacht verhafteten Randalierer möglichst „hart“ zu bestrafen.

Insgesamt 187 Personen waren in der Nacht zu gestern nach dem offiziellen Ende der Studentendemonstration bei Randalen im Pariser Quartier Latin festgenommen worden. Laut Innenminister Nicolas Sarkozy handelt es sich dabei um „extreme Linke, um extreme Rechte sowie um Strolche aus den einschlägigen Quartieren“. Die Randalierer hatten sich mit Stöcken, Stühlen, Molotowcocktails und anderen Wurfgeschossen am Ende der Demonstration versammelt und waren sowohl auf die in Kampfuniform aufgetretenen PolizistInnen als auch auf linke DemonstrantInnen gestürzt. Mehrere Personen wurden verletzt. Mehrere Geschäfte zerschlagen. Schon vor der Demonstration zirkulierten Aufrufe in rechtsextremen Organisationen, die „linken Schmarotzer“ fertig zu machen. Auch über andere Randale-Absichten war die Polizei vorab informiert. Warum es ihr trotzdem nicht möglich war, die Randale zu verhindern, konnte Sarkozy nicht erklären.

Trotz der Ausschreitungen am Rande betrachten in Frankreich sowohl die BefürworterInnen als auch die KritikerInnen des CPE die Demonstrationen vom Donnerstag als großen Erfolg. Viele ZeitungskommentatorInnen rätselten, wie lange diese Regierung noch an ihrem Projekt festhalten kann, das den offiziellen Namen „Gesetz für die Chancengleichheit“ trägt. Manche spekulierten bereits über mögliche Nachfolger von Regierungschef Dominique de Villepin. Andere darüber, dass sich mit den Demonstrationen von Jugendlichen und Gewerkschaften auf der Straße der Ausgang der Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr entscheiden könne.

Die öffentliche Meinung haben die protestierenden StudentInnen bereits erobert. Nach einer Umfrage des Instituts CSA sind bereits 68 Prozent aller FranzösInnen für die Rücknahme des Gesetzes. Das sind fast 20 Prozent mehr als noch am Monatsanfang. Viele FranzösInnen befürchten, dass die Aufhebung des Kündigungsschutzes für Jugendliche nur der Anfang einer generellen Aushöhlung des Arbeitsrechts ist. Schließlich streben die rechte Regierung und der Unternehmerverband Medef schon seit längerem einen neuen „einheitlichen“ Arbeitsvertrag an. Begründung: Das französische Recht sei „zu unflexibel“.

Unterdessen weitete sich die StudentInnenbewegung noch aus. Erstmals haben sich auch Fakultäten den Streiks angeschlossen, die selbst im Mai 1968 von der Bewegung fernblieben, darunter traditionell als konservativ eingestufte Fachbereiche wie die Juristische Fakultät in Toulouse.

Heute, wenn sämtliche französischen Gewerkschaften gegen den CPE und gegen den Sozialabbau, den die rechte Regierung seit dem Frühsommer 2002 betreibt, auf die Straße gehen, wird sich auch die Zukunft der Bewegung entscheiden. Sollte die Zahl von einer Million DemonstrantInnen überschritten werden, muss die Regierung weitere Zugeständnisse machen. Andernfalls wollen mehrere Gewerkschaften zu branchenübergreifenden Streiks aufrufen.