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ÜBERWACHUNGSFRAGENGroßer Bruder

Gab es verräterische Kaffee-, Wein- oder andere Flecken?

Kurz nachdem publik wurde, dass die NSA Überwachungsprogramme einsetzt, um Millionen Telefonate und Mails zu kontrollieren, passierte etwas Interessantes auf dem Buchmarkt: Das Buch „1984“ von George Orwell, erschienen im Jahr 1949, verkauft sich seitdem wieder wie Hulle. Der entmenschlichte Überwachungsstaat wird erneut zum Kassenschlager. Irre.

In der DDR war das Buch natürlich verboten. Deshalb war ich hin und weg, als ich ein Exemplar bei Tschechen in Prag im Buchregal fand, wo ich mit einer Freundin zu Besuch war. Diese Begebenheit trug sich 1985 zu, also ein Jahr nach dem Jahr des Buchtitels. Während die anderen in Prag unterwegs waren und Bier tranken, lag ich auf dem Sofa und las und las und las.

Das ist jetzt 28 Jahre her. Da das Buch in Englisch war und ich es schnell las, kann ich nicht sagen, dass ich das Buch wirklich kenne. Und da lag es nun auf einmal – an einem Samstag an einem Buchstand auf dem Markt auf dem Boxhagener Platz. Es war eine deutsche Ausgabe von 1994. Vorne drauf stand ein Satz einer Buchbesprechung des Münchner Merkur: „Orwell hätte sein berühmtes Buch auch 2000 nennen können.“ Ich bezahlte 3 Euro und trug das in der DDR verbotene und jetzt wieder angesagte Buch mit meinen Einkäufen nach Hause.

Und was tat ich dort? Ich begann sofort, Spuren des früheren Besitzers zu suchen. Waren Stellen, Sätze, Wörter markiert? Gab es verräterische Kaffee-, Wein- oder andere Flecken? Ließ sich aus einem Fettfleck oder Eselsohr die DNA extrahieren? Doch der Vorbesitzer hatte nichts Sichtbares hinterlassen, aus dem ich hätte Rückschlüsse ziehen können. Ich war enttäuscht und tat das, was ich manchmal vor der Lektüre eines neuen Buches tue. Ich las den allerletzten Satz. „Er liebte den Großen Bruder.“ Da war ich nicht mehr enttäuscht. BARBARA BOLLWAHN

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