Arme gegen Reiche

MACHTKAMPF Die Proteste sind Ausdruck einer tiefen Spaltung der thailändischen Gesellschaft. Im Hintergrund stets beteiligt: das Militär

„Das Militär will einen Premierminister, der legitim wirkt, aber keine Macht hat“

SUNAI PHASUK, HUMAN RIGHTS WATCH

BANGKOK taz | Eine erste Verhandlungsrunde ging ohne Ergebnisse zu Ende. Am Sonntag traf sich Thailands Premierminister Abhisit Vejjajiva mit drei Vertretern der seit Wochen protestierenden „Vereinigten Front für Demokratie gegen Diktatur“, kurz UDD. Diese forderten abermals eine Auflösung des Parlaments binnen zwei Wochen.

Dreieinhalb Jahre nach dem Staatsstreich ist das Land tiefer gespalten denn je. Dabei hatten sich die Putschisten damals alles so einfach vorgestellt: Man stürzt den umstrittenen, aber auch beliebten Thaksin Shinawatra und die Krise ist gelöst. Doch dessen Schatten wird Thailand nicht los.

Dabei hat kaum jemand so polarisiert wie Thaksin. Gravierende Menschenrechtsverletzungen werden ihm zur Last gelegt. So initiierte er 2003 den „Krieg gegen die Drogen“, bei dem mindestens 2.300 Menschen ermordet wurden – die meisten davon Unschuldige.

Offiziell warfen ihm die Putschisten vor, korrupt zu sein. Das war Thaksin zweifellos. Doch seine Gegner ignorierten, dass Vetternwirtschaft tief im politischen System Thailands verankert ist. Tatsächlich ging es darum, mit ihm als politischem Rivalen abzurechnen. Denn Thaksin und seine Clique neureicher Wirtschaftsbosse hatten begonnen, einer konservativen Elite aus Bürokraten, Royalisten, Militärs und Bangkoker Geldadel ihren Einfluss streitig zu machen.

Thaksins Wähler waren vor allem die Armen in den Provinzen des Nordens und Nordostens und die Tagelöhner in den Städten. Deren Bedürfnisse waren von der alten Elite stets missachtet worden. Dass die Unterprivilegierten, die Mehrheit der Wählerschaft, auf einmal politisch bedeutsam wurden, passte den konservativen Kreisen nicht. Seit dem Putsch hätte die alte Elite gezeigt, dass es ihr vor allem um die eigenen Interessen gehe, so der Politologe Thitinan Pongsudhirak von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok.

Systematisch wurde versucht, die Anhänger Thaksins kaltzustellen. Dessen Partei „Thais lieben Thais“ war Ende Mai 2007 per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden – wegen Wahlbetrugs. Deren Nachfolgerin People’s Power Party (PPP) aber gewann sieben Monate später die Neuwahlen. Das war ein klares Votum gegen die Putschisten. Dieser Sieg mobilisierte die Gegner des Expremiers erneut – allen voran die Volksallianz für Demokratie, die „Gelbhemden“. Das von der konservativen Ober- und Mittelschicht unterstützte Bündnis, das eine Abkehr vom System „Eine Stimme für jeden Wähler“ fordert, hatte bereits vor dem Coup gegen Thaksin demonstriert.

Die Proteste der „Gelbhemden“ gipfelten 2008 in der Besetzung des Regierungssitzes und beider Bangkoker Flughäfen. Die Demonstranten zogen erst ab, nachdem das Verfassungsgericht auch die PPP wegen Wahlbetrugs auflösen ließ. Einen „zweiten Coup für die Reichen“ nannte dies der wegen Majestätsbeleidigung angeklagte und ins Exil geflohene Politikwissenschaftler und Aktivist Giles Ungpakorn. Man habe mit einem „politischen Urteilsspruch“ die Thaksin-nahen Politiker zermürben wollen.

Was folgte, war ein politisches Ränkespiel: Die jetzige Koalitionsregierung unter dem Chef der Demokratischen Partei (DP), Abhisit Vejjajiva, kam im Dezember 2008 nur zustande, weil Angehörige der aufgelösten PPP zur DP übergelaufen waren. Laut Kritikern waren den abtrünnigen Abgeordneten enorme Summen oder lukrative Posten versprochen worden. Zudem habe die Armee „nachgeholfen“: „Das Militär hat an der Amtsübernahme Abhisits mitgewirkt, so der Politologe Thitinan Pongsudhirak.

Die Mitglieder der außerparlamentarischen UDD, mehrheitlich Anhänger Thaksins, sprechen Abhisit daher die Legitimation ab. Damit stehen sie nicht allein: Immer öfter kritisieren auch diejenigen, die nicht mit dem Expremierminister sympathisieren, die Einflussnahme des konservativen Establishments auf die Politik. Denn diese Regierung stützt sich vor allem auf alte Eliten und die mächtige Armee. „Das Militär wird weiterhin versuchen, sich in die Politik einzumischen“, meint Sunai Phasuk von Human Rights Watch. „Und dabei bevorzugt es eine Koalition aus schwachen Parteien und einen Premierminister, der nach außen hin zwar legitim und überzeugend wirkt, aber in Wirklichkeit keine politische Macht hat.“ NICOLA GLASS