Schrilles Gelächter von vier alten Damen

LESUNG Zur Vorstellung des Romans „Nur Mut“ von Silvia Bovenschen kommen vorwiegend ältere Frauen. Dabei kann über die schwarze Komödie jeder lachen

Heute lassen sie die Regeln sterben. Die vier alten Damen, die gemeinsam in der großen, weißen Villa leben: Charlotte ist die Chefin im Haus, Johanna eine vergessene Autorin, die mehrmals am Tag mit einem lauten „Unerhört!“ die Hausgemeinschaft an ihre Existenz erinnert. Nadine gehört dazu, ehemals Modedesignerin, die wie ein „Vögelchen“ spricht, und zuletzt Leonie, eine pensionierte Lehrerin, die immer nur vor sich hin murmelt.

Eigentlich ist das Leben der alten Damen nach strengen Ritualen gerichtet. Manche sind herkömmlich und andere, wie der Wettbewerb um die besten Gründe, zu sterben, weniger. Doch an diesem Tag gerät alles aus den Fugen. Die Polizei, die sich am nächsten Morgen Zugang zu dem Haus verschaffen wird, wird ein Bild der Verwüstung vorfinden und dazu einen toten Mann. Die Damen werden verschwunden sein.

Viele ältere Damen füllten die Räume des Literarischen Colloquiums Berlin, das für Donnerstagabend zu einer Lesung von „Nur Mut“ eingeladen hatte. Silvia Bovenschen konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst teilnehmen, stattdessen lasen ihre Schriftstellerkollegen Antje Rávic Strubel und Ingo Schulze vor. Die Zahl der unter 60-Jährigen war an einer Hand, die der Männer vielleicht an zwei Händen abzählbar. Das Buch scheint vielen älteren Frauen eine Bestätigung zu bieten. Und sie sollten es unbedingt an ihren Kinder weiterschenken.

Bovenschens „Älter werden“ war schon ein erfolgreiches Sachbuch, das sich mit dem Gefühl des Alterns beschäftigte. Aber „Nur Mut“ ist eine schwarze Komödie für alle, die auch lachen wollen, wenn sie sich mit dem Leben und dem Tod beschäftigen. Es ist ein Buch, das die Hauptfragen der Philosophie behandelt und dabei vom Alltäglichen, Banalen und Beiläufigen ausgeht. Auch wenn es wenige gute Worte für die Jugend übrig hat.

Da ist „sexy Dörte“, die Enkelin von Charlotte, die als letzte Rettung vor dem Jugendknast von ihrer „Erzeugerfraktion“ in das „gruftige Biotop“ abgeschoben wurde. Sie beschließt nach einem Besuch in der „Betbude“, fromm zu leben, und holt sich am selben Tag noch aus Langeweile ihren Verehrer Flocke ins Bett. Somit ist sie ein Beispiel für das, was Johanna der Jugend weniger vorwirft, als sie dafür zu bemitleiden: „Du musst permanent darüber nachdenken, was du bist und wie du bist und wie du sein könntest, bis du im Zuge dessen gar nicht mehr dazu kommst, zu sein.“

Viele kleine Essays legt Silvia Bovenschen ihren Figuren in den Mund, ohne auch nur eins der Themen unserer Gesellschaft zu vergessen: Europa, Kriege, Sexualität, Luxusverwahrlosung, bis hin zu Wikileaks.

Antje Rávic Strubel schätzt Silvia Bovenschen nicht nur als Autorin, sondern auch als ihre Lektorin und Mentorin. „Wir gehen bei den Texten nie von der Figur oder der Handlung aus. Das Wichtigste ist die Sprache. Wenn das Sprachliche stimmt, stimmt auch die Figur“, erzählt sie bei der Lesung. Die Sprache ist eigentlich das Thema, um das sich in „Nur Mut“ alles dreht.

Nicht nur die klare, genaue Sprache der Autorin und der Witz, mit dem sie ihre radikalen Aussagen umgibt, fallen auf, sondern auch die Bedeutung der Sprache für die Personen des Romans. „Mann, das sind Geräusche hier“, beschwert sich Dörte. Tatsächlich ist die gesamte Geschichte begleitet von Geräuschen, die für jeden Moment charakteristisch sind. Jede einzelne Figur in Bovenschens Roman hat ihre eigene Art, zu sprechen.

Johanna schreit, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Leonie hingegen murmelt: „Es hat ohnehin keine Wirkung mehr. Es strahlt nichts mehr in die Zukunft.“ Am Ende des Abends ist nur noch ein schrilles Gelächter der Damen zu hören. Wenn etwas gesagt wird, dann nur das, was noch gesagt werden muss: „ein Sprechen ohne Zukunft und daher frei von jeder Nützlichkeit“. Wo das Sprechen aufhört, fängt für die vier Damen das Lachen an. SEYDA KURT