Er unter vielen

HAUSBESUCH Vier Frauen, sechs Kinder – und 17-mal umgezogen. Bei Laurenz Lamberts in Walsrode

VON TERESA HAVLICEK
(TEXT) UND JOANNA NOTTEBROCK (FOTOS)

Walsrode, die Kleinstadt in der Lüneburger Heide, Niedersachsen. Zu Besuch bei Laurenz Lamberts.

Draußen: Eine Einfamilienhaus-Siedlung am Ortsrand, freistehende Häuser mit großen Vorgärten, viel roter Ziegelstein. „Flohmarkt, Apfelschorle 50 Ct., Wasser 50 Ct.“ steht mit Kreide auf dem Gehweg vor Laurenz’ Haus. In der Einfahrt haben zwei seiner Söhne aus grünen Plastikpaletten einen Flohmarktstand aufgebaut. Eingang über die Veranda hinterm Haus. Im Garten Teich, Feuerstelle und Sandkasten. Tisch und Stühle auf der Wiese, drumherum Spielzeug.

Drinnen: Über die Veranda geht es ins Wohnzimmer. Neben dem Ofen ein antiker Schaukelstuhl, an den Wänden hängen Bilder von Laurenz’ sechs Söhnen, ein Loriot-Poster über dem Klavier. Auf den beiden Sofas stapeln sich Micky-Maus-Hefte und Stofftiere. Laurenz’ Arbeitszimmer ist im Nebengebäude, hohe Holzregale voller Bücher, ein cognacfarbener Ledersessel, daneben eine Stehlampe, auf dem Boden liegen Lego-Steine. Die Anrichte in der Küche voller Töpfe, an der Wand ein Plakat mit Marmelade-Rezepten. Brokkoli, in Sojasoße geschmorte Zwiebeln, Hirse mit Süßreis, veganes Zaziki und Kidneybohnen sind auf dem Esstisch in Schüsseln angerichtet.

Was macht er? Laurenz ist Küchenleiter in der Waldorfschule im Nachbarort, bekocht täglich 200 Schüler („Da geht es um die Schlagzahl“). Nebenbei singt er im Chor, hat „alle möglichen anderen Projekte“: Zurzeit tüftelt er an einer Idee für ein Spendenessen, um Geld für die Sanierung der Kirche im Ort zu sammeln. Außerdem will er ein Projekt zur Schulernährung ins Leben rufen, damit es mehr Selbstgemachtes statt Standard-Catering gibt („Es hätte großen Sinn, wenn die Politik nicht nur Lehrerstellen einrichtet, sondern auch Schulküchen“).

Was denkt er? Laurenz will im November bei der Industrie- und Handelskammer die Prüfung zum Einzelhandelskaufmann als Berufspraktiker machen („Da muss ich noch einiges reinbuttern“). Die Prüfung zum Koch hat er so schon absolviert, wegen seiner langen Berufserfahrung ohne Lehre und Berufsschule. Außerdem treibt ihn um, „wie es in den nächsten 20 Jahren weitergeht – ich habe viele Kinder und muss viel Geld verdienen, das bremst mich ein bisschen bei meinen Projekten“. Seine Idee, einen Regionalzweig des Hochbegabtenvereins Mensa aufzubauen, bei dem er mit einem IQ von 130 Mitglied ist, liegt aus Zeitgründen auf Eis.

Laurenz: In München geboren, bei Hanau aufgewachsen. 17-mal umgezogen, „zerrissene Beziehungsbiografie“: sechs Kinder von vier Frauen, zwei gescheiterte Ehen. Mit Freundin Marie und seinem jüngsten Sohn (eineinviertel Jahre alt) lebt er in Walsrode zusammen. Abi am Franziskanergymnasium, Schülersprecher („Anders als man denkt, wurde da maximal versucht, politisches Leben im Schulalltag umzusetzen“). Beim Zivildienst an einer Blindenschule entdeckt er während einer psychischen Krise die Makrobiotik („Die Depression war zwei Wochen später weg“). Bald fängt er an, selbst makrobiotische Kochkurse zu geben. Zwischenstation Geografiestudium in Frankfurt am Main, nebenbei erst Kulissenschieber beim Theater, dann Krankenpfleger. Mit seiner ersten Frau übernimmt er einen Bioladen in Hamburg, nach der Trennung steigt er aus. Danach Hafenarbeiter, Paketzusteller, Arbeiter auf dem Bau („Körperliche Arbeit hilft gegen Trennungsschmerz“). Bei der Expo 2000 in Hannover landet er bei einer Cateringfirma, kocht auf Großveranstaltungen und Musikertourneen. Später übernimmt er die Küche in einem Hamburger Wellness-Hotel, eröffnet dann ein eigenes vegetarisches Restaurant („Kein wirtschaftlicher Erfolg“). Koch an der Waldorfschule ist er seit sechs Jahren.

Das erste Date: Im März vor fünf Jahren: Kaffeetrinken mit Marie in Hannover, dann gehen sie spazieren. Ein starkes Signal, denn Spaziergänge mag er nicht und weigert sich normalerweise, welche zu machen.

Heiraten? „Ich bin ein gebranntes Kind, ich gebe dazu keine juristisch belastbaren Kommentare.“

Der Alltag: Aufstehen, zur Schule fahren, den ersten Kaffee trinkt er dort mit seinem besten Freund, dem Hausmeister. Spätestens um halb neun fängt er an zu kochen, die ersten 140 Essen müssen um Viertel vor elf fertig sein („Das ist ein ziemliches Drehen“). Feierabend zwischen vier und halb sechs. Danach Abendessen machen („Wobei bei einem Vollkoch die Selbstversorgung schnell ein bisschen auf der Strecke bleibt“), den Jüngsten ins Bett bringen, Chor, umbauen, renovieren („Ich habe nicht das Gefühl, ich habe zu wenig Arbeit“).

Wie finden Sie Merkel? „Ich frage mich schon, wo christliche Sozialpolitiker wie ein Heiner Geißler in der CDU geblieben sind, vielleicht sollte man die Frau an ihren Leichen messen.“ Wie er sie genau findet, könnte er aber erst sagen, wenn er mal mit ihr kochen würde: „Küchenarbeit ist intensiv, da muss man als Team funktionieren und kriegt binnen Stunden das Sozialverhalten des anderen raus.“

Wann sind Sie glücklich? „Das sind die eher kleinen Sachen, beim Singen, beim Basteln, wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fahre und die Sonne geht auf.“

Nächstes Mal treffen wir Gero W. in Berlin. Interesse? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de