LESERINNENBRIEFE
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Heranwachsenden Anstand beibringen

■ betr.: „Der Guru wird’s nicht richten“, taz vom 1. 8. 13

Der Autor hat natürlich insofern Recht, als er für längeres gemeinsames Lernen plädiert und die frühe Aussortierung nach der 4. Klasse ablehnt. Ich warne auch vor der Glorifizierung des Gymnasiums, denn wir brauchen nicht nur Professoren, sondern auch tüchtige Handwerker und Sekretärinnen, die dann aber auch guten Lohn erhalten sollten. Fatal finde ich den Trend, für immer mehr Berufe das Abitur zu verlangen. Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen brauchen eine „soziale Ader“, keine allgemeine Hochschulreife. Dem pädagogischen Personal von der Kindergärtnerin bis zum Professor kommt aber eine immer wichtigere Aufgabe zu, nämlich den Heranwachsenden Anstand beizubringen. Die rapide Zunahme von Mobbing ist hier ein Alarmzeichen. In immer mehr Familien sind beide Elternteile berufstätig, haben also immer weniger Zeit für die charakterliche Erziehung der Sprösslinge. Natürlich sind die Schulen nicht der Reparaturbetrieb für familiäre und gesellschaftliche Missstände. Es braucht also auch deutlich mehr Sozialpädagogen, eine enge Verzahnung von Schule, Jugendamt und leider auch Polizei. CHRISTIAN FUCHS, Gutenstetten

Zu völkisch das Programm

■ betr.: „Ein leiser Sprecher“, taz vom 15. 8. 13

Der Thüringer Regierungssprecher Karl-Eckhard Hahn ist in der Deutschen Gildenschaft. Völkisch will er nicht sein, sonst wäre er ja nicht Mitglied, sagt er. Das ist ein Widerspruch in sich. Hahns Hochschulgilde Trutzburg Jena zu Göttingen ist „der Verfassungsschutzbehörde bekannt“. Diese „verfolgt [deren] Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit, um zu prüfen, ob die Grenze zur verfassungsfeindlichen Bestrebung überschritten ist“. So die Antwort auf eine Anfrage im Niedersächsischen Landtag im Februar 2010. Diese Aufmerksamkeit mag den Gruppen geschuldet sein, mit denen die Gilde teils öffentlich in Erscheinung tritt. Etwa der Freibund – Bund Heimattreuer Jugend, der Deutsche Mädelwanderbund, die Fahrenden Gesellen und der aus der Wiking-Jugend hervorgegangene Sturmvogel.

Von einer Jubiläumsveranstaltung der Bündischen Jugend, bestehend aus Pfadfinder- und Wandervogelgruppen, im kommenden Oktober wurden all diese Gruppen samt der Gildenschaft ausgeschlossen. Zu völkisch ihr Programm, zu zahlreich ihre Kontakte in die Szene der extremen Rechten. Denn auch mit strammen Nazis von der Heimattreuen Deutschen Jugend hielt die Gildenschaft bis zu deren Verbot 2009 gemeinsame Veranstaltungen ab: Auf dem „überbündischen Burgfest“ treffen sich jährlich die genannten Gruppen zu Gesang und Volkstanz. Ein bekannter Schweizer Holocaustleugner und der damalige Anmelder des Neonazi-Großaufmarsches in Dresden nahmen etwa 2008 auf Burg Hohnstein teil. Den Einladungsschreiben der verschiedenen Burgfeste ist zu entnehmen, dass in den Jahren 2003, 2004 und 2006 Mitglieder der DG, darunter die damalige Aktivensprecherin, maßgeblich für die Organisation der Feste verantwortlich waren.

Umso bedauerlicher ist es, dass dem langjährigen Aktivensprecher der DG, Sven Reiß, am 12. Juni die Gelegenheit gegeben wurde, in der taz einen Artikel über sexuelle Gewalt zu veröffentlichen. Die taz sollte sich nicht als Trägermedium möglicher Wortergreifungsstategien dieser Szene missbrauchen lassen. Dafür gibt es schließlich die Junge Freiheit, gegründet von Gildenschaftern. JESKO WREDE, Berlin

Demokratie kommt nach Religion

■ betr.: „Rückkehr zu alten Verhältnissen in Ägypten“, taz vom 15. 8. 13

Bei aller Achtung vor ihrem Artikel, Ihrer Verteidigung der Grundrechte und der Freiheit, ein Satz stimmt nicht: „… gibt es für Islamisten überhaupt keine Argumente mehr, sich auf demokratische Prozesse einzulassen.“ Islamismus und demokratische Prozesse sind (nicht nur in meinem Sprachgebrauch) unvereinbare Gegensätze – anders: Islam und Demokratie! (Ideologie und Glaube) Wollten Islamisten demokratische Prozesse? Ähnliches gilt für Evangelikale oder orthodoxe Juden. Bei allen fundamentalistischen Religionen stehen „Demokratie“ und „Freiheit“ hinter dem „Glauben“. Jeder soll seine Religion leben können, in einer pluralistischen, freiheitlichen und demokratischen Welt, aber nur unter Beachtung der Rechte und Freiheiten des anderen! NORBERT VOSS, Berlin