DER CRASHKURS ZUR BAHN
: Fahrdienstleiter gesucht

Weil etwa 1.000 Fahrdienstleiter fehlen, schult die Bahn ehemalige Schlecker-Verkäuferinnen und Zeitsoldaten um

Die „Fluglotsen der Schiene“ beziehungsweise ihr Arbeitgeber, die Deutsche Bahn, stehen in diesen Tagen in gar keinem guten Licht da. Am Mainzer Hauptbahnhof fiel tagelang jeder zweite Zug aus, der Regionalverkehr funktioniert noch immer nur eingeschränkt, Fernverkehrszüge werden nach wie vor umgeleitet, weil von den 15 Fahrdienstleitern in Mainz fast die Hälfte krank oder im Urlaub ist.

Einer ist mittlerweile aus den Ferien zurück, nachdem Bahnchef Rüdiger Grube höchstpersönlich zum Telefon gegriffen hatte. Aber das und auch die Tatsache, dass die Ausfälle längst Wahlkampfthema sind – Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU sprach von einem „sehr ernsten Problem“, Kanzlerkandidat Peer Steinbrück von der SPD kritisierte die Personalpolitik der Bahn, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU machte Steinbrück als früheren Bundesfinanzminister verantwortlich –, ändern nichts daran, dass etwa tausend Fahrdienstleiter fehlen.

Die Bahn-Tochter DB Netz AG räumt bundesweite Probleme bei der Besetzung von Stellwerken ein. Etwa 12.000 Fahrdienstleiter arbeiten in 3.392 Stellwerken. Fahrdienstleiter stellen die Signale und Weichen für Zug- und Rangierfahrten und sorgen – im Normallfall – für eine sichere, pünktliche und reibungslose Fahrt. Dieses Jahr sollen 340 neue Fahrdienstleiter eingestellt werden, sodass insgesamt 600 Mitarbeiter in diesem Bereich hinzukommen.

Berührungsängste kennt die Bahn dabei nicht. Seit Anfang dieses Jahres werden ehemalige Angestellte der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker zu Weichenwärterinnen und Fahrdienstleiterinnen ausgebildet. Zunächst haben 14 einen Qualifizierungskurs gemacht, weitere sollen folgen. Die zweieinhalbjährige Ausbildung verkürzt sich dabei auf vier Monate. Auch bei der Bundeswehr, bei der durch die Bundeswehrreform bald viele Zeitsoldaten eingespart werden, geht die Bahn auf Personalfang und schult beispielsweise Unteroffiziere zu Fahrdienstleitern um. Man hält sie für geeignet, weil Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Schichtdienst auch in der Bundeswehr wichtig seien.

Gestern meldete die Bahn, dass sie bereits versucht habe, pensionierte Bahnmitarbeiter zur Rückkehr zu bewegen. Die Bundesnetzagentur drohte unterdessen der Deutschen Bahn ein Zwangsgeld in Höhe von 250.000 Euro an, sollte sie nicht „unverzüglich“ geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Betriebsbeeinträchtigungen ergreifen.

Ab 30. August, so die Bahn, soll in Mainz wieder Normalität herrschen – falls nicht, genau, Fahrdienstleiter krank werden. BARBARA BOLLWAHN