Ein letztes Mal ganz nahe bei Milošević

Bei der Beerdigung von Slobodan Milošević verabschieden sich Zehntausende vom „größten Freiheitskämpfer“ Serbiens. Unter den Trauernden ist der österreichische Schriftsteller Peter Handke. Der Exdiktator wird im eigenen Familiengarten bestattet

AUS BELGRAD ANDREJI IVANJI

Tagelang verabschiedet sich Serbien von Slobodan Milošević. Die einen weinen dem „größten serbischen Sohn“ seit dem Mittelalter nach, die anderen freuen sich, dass der Tod endlich seine „blutige Machtära“ besiegelt hatte. Das politische Trauerspektakel wird live übertragen.

Vor dem Bundesparlament in Belgrad versammeln sich Zehntausende um den Sarg ihres geliebten Präsidenten. Es sind zumeist sichtlich heruntergekommene, bedrückte, vorwiegend ältere Menschen. Zwei überleben den Stress nicht, sie erliegen einem Herzinfarkt. „Slobo ist ein Held“, sagt eine Frau hysterisch. Eine Gruppe von Rentnern schließt sich an. Man habe ihn ermordet, weil er für die Freiheit kämpfte. Die Nato und der Westen seien an der Misere Serbiens schuld – das kann man greise Leute im Brustton tiefer Überzeugung reden hören.

Auf der Bühne wechseln sich die Redner ab. „Das hier ist das wahre, patriotische Serbien“, brüllt ein hoher Funktionär der Milošević-Sozialisten. Es ist, als sei man in die Vergangenheit versetzt: Im Zentrum der Hauptstadt erschallen feurige Tiraden über „Nato-Söldner“ und „einheimische Verräter“, die der Westen bezahlen würde, um Serbien zu zerstückeln. Die „Mörder“ vom UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag werden verdammt, und alle fünf Minuten wechselt die Totenwache um den mit serbischer Fahne bedeckten Totenschrein. Trotz ausdrücklichen Verbots treten pensionierte Generäle in Paradeuniformen auf. Unter ihnen, wie ein Christbaum mit Orden beschmückt, Exgeneralstabschef Dragoljub Ojdanić, der selbst auch wegen Verbrechen an der Menschlichkeit vor dem Den Haager Tribunal angeklagt ist und auf den Beginn seines Prozesses wartet.

In Belgrad wollte kein Friedhof für die Bestattung des langjährigen ehemaligen Präsidenten eine würdige Parzelle freigeben. Also zieht der Trauerzug in Milošević’ Heimatstadt Požarevac, wo er mit einer Sondergenehmigung der Stadtbehörden unter einer hundertjährigen Linde im Garten des Familienhauses begraben wurde. „Wie ein Kanarienvogel im Garten verscharrt, tote Menschen gehören auf den Friedhof“, sagt ein junge Frau. Ein silberner Mercedes-Leichenwagen, auf dem noch auf Deutsch „Bestattungsunternehmen“ zu lesen ist, fährt Milošević’ sterbliche Überreste durch die Menschenmassen in der Provinzstadt. Auch hier glorifiziert ein Redner nach dem anderen den „bewundernswerten Freiheitskämpfer“.

Auch der Überraschungsgast Peter Handke kommt zu Wort. Er liest auf Serbisch von einer „so genannten“ stets abwesenden „Welt, die keine Welt“ sei. „Ich weiß, dass ich die Wahrheit nicht kenne“, sagt Handke. Aber er blicke herum, höre zu, empfinde und sei deshalb heute in Milošević’ Nähe anwesend. Doch neben den slawischen Brüdern aus Mütterchen Russland findet der österreichische Dichter wenig Beachtung. Kein Mitglied der Familie Milošević wohnt der Beerdigung bei. Trotz Garantien der Regierung fühlen sie sich anscheinend doch zu unsicher.

Im Zentrum Belgrads versammeln sich zur gleichen Zeit junge Menschen. Gut gelaunt und mit Trillerpfeifen spazieren sie durch die Fußgängerzone zur Mündung des Flusses Sava in die Donau und lassen dort hunderte bunte Luftballons in die Luft steigen. Im Gegensatz zu den „Vampiren“ um Milošević’ Leiche, wollen sie, nach eigenen Worten, schlicht ein anderes Serbien zeigen und das Ende einer bösen Epoche und den Frühling feiern.

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