Großtürken bleiben eher unter sich

Nationalistische Türken demonstrieren in Berlin, weil sie meinen, an den Armeniern sei kein Völkermord verübt worden. Die Berliner Türken bleiben aber größtenteils zu Hause. Innensenator Körting will Verstöße gegen Demo-Auflagen prüfen

AUS BERLIN ALKE WIERTH

Es kriselte kurz bei der Demonstration türkischer Nationalisten am Samstag in Berlin, als der Vorsitzende der türkischen Arbeiter-Partei, Dogu Perincek, die Bühne betrat. Vor seiner Rede hatten er und seine Anwältin lange mit der Polizei verhandeln müssen. Die fürchtete, dass Perincek sich nicht an die Auflagen halten würde. Auch der Veranstalter der Demonstration, der Bundesverband der Atatürk-Gedenkvereine, sah sich nicht in der Lage, Perincek von unzulässigen Äußerungen abzuhalten.

Er hat es dann tatsächlich nicht gesagt: dass der gegen Ende des Osmanischen Reichs an den Armeniern verübte Völkermord eine Lüge sei. Die Polizisten, die während der Ansprache Perinceks bereits rechts und links der Bühne in Stellung gegangen waren, konnten sich zurückziehen.

Dabei hätten sie Grund genug gehabt, die Veranstaltung mit laut Polizeiangaben circa 1.700 Menschen aufzulösen. Denn ansonsten war die Behauptung, der Genozid an den Armeniern sei eine Lüge, nahezu überall zu hören und zu lesen. Nicht nur gaben Teilnehmer bereitwillig Auskunft darüber, dass sie gegen die „Völkermordlüge“ protestierten, auch auf den Plakaten war von der „ermeni soykirim yalani“, der Lüge des Armenier-Völkermords, zu lesen.

„Wir haben keinen Völkermord begangen, wir haben nur unser Vaterland verteidigt“, skandierten die überwiegend älteren Teilnehmer. Sie wurden von teilweise mit den Abzeichen der als faschistisch geltenden „Grauen Wölfe“ ausgestatteten jüngeren Leuten unterstützt. Ganz im Sinne des Großtürkentums waren nicht nur massenhaft türkische Fahnen zu sehen, sondern etwa auch die aserbeidschanische und turkmenische.

Die Träger stammten in der Mehrzahl allerdings nicht aus Berlin. Mit Bussen waren Demonstranten aus der ganzen Republik, sogar aus Belgien angereist. Auch aus der Türkei war Unterstützung eingeflogen. Vereine türkischer Berliner hatten sich dagegen längst von der Veranstaltung distanziert. Sogar der Berliner Ableger des Veranstalters, der Atatürk-Gedenkvereine, nahm nicht teil: In der Hauptstadt hat sich dieser Verein bislang erfolgreich gegen eine Unterwanderung von Dogu Perinceks Leuten gewehrt.

Der Führer der Arbeiter-Partei, die in der Türkei eine kaum messbare Wählerschaft hat, hat sich von einem strammen Linken zu einem Ultranationalisten gewandelt. Die Mitglieder seiner Bewegung, die sich als „Aydinlik“ – Erleuchtung oder auch Aufklärung – bezeichnet, lehnen jede Einmischung in türkische Angelegenheit, auch jede Annäherung an die Europäische Union ab. So solle die deutsch-türkische Freundschaft gefestigt werden.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sprach am Samstagabend von einem „Missbrauch des Demonstrationsrechts“: Dies gelte für Menschen, „die bei uns leben“. Er kündigte an, Verstöße gegen die vom Oberverwaltungsgericht über die Demonstration verhängten Auflagen zu prüfen.