Region in der Krise

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Er galt als der „Mann der Amerikaner im Irak“, mit engen Kontakten zur CIA: Ajad Alawi, Iraks erster Premierminister nach dem Fall Saddam Husseins. Zum dritten Jahrestag des Irakkrieges stellt er seinem Land und seinen einstigen Freunden aus Washington ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

„Täglich werden mindestens 60 Menschen bei religiösen und ethnischen Spannungen getötet. Wenn das kein Bürgerkrieg ist, dann weiß nur Gott, was Bürgerkrieg ist“, erklärte der säkulare Schiit in einem Interview mit der britischen BBC. „Wir nähern uns einem Punkt, an dem es keine Umkehr mehr gibt“, warnte er. „Wenn der Irak auseinander bricht, hat das Auswirkungen auf die Region, aber auch auf Europa und die USA.“

Seit dem Anschlag auf die Askari-Moschee in Samarra am 22. Februar, ein schiitisches Heiligtum, haben sich sunnitische und schiitische Extremisten in einen blutigen Rachefeldzug verstrickt. Die einen zünden immer wieder Bomben auf belebten schiitischen Plätzen, die anderen senden ihre Milizen aus, um nachts sunnitische Männer zu entführen und sie zu exekutieren. Seit dem Samarra-Anschlag hat auch eine Art ethnische Säuberung an Dynamik gewonnen. Hunderte Familien sind aus den Gebieten geflohen, in denen sie sich von einer Mehrheit der jeweils anderen Religionsgruppe bedroht fühlten. Bisher habe man 350 schiitische Familien gezählt, erklärte letzte Woche ein Mitglied der Mahdi-Armee in Sadr City. Man versuche sie in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden unterzubringen. Ein Sprecher der Vereinigung sunnitischer Rechtsgelehrter sprach gleichzeitig von 60 sunnitischen Familien, die ein neues Zuhause suchen.

Ein Teil von Bagdads Mittelklasse packt unterdessen die Koffer. Ärzte bekommen seit kurzem eine Ausreisegenehmigung, wenn sie ein Papier unterzeichnen, dass sie innerhalb von drei Jahren wieder zurückkehren. Für Akademiker, die oft auch Opfer von Kidnappern sind, ist der Rat der Regierung, sich doch zu bewaffnen, eine Kapitulationserklärung.

Die US-Regierung hofft nun, im Laufe des Jahres Truppen abziehen zu können, sollten die irakischen Sicherheitskräfte das Potenzial haben, die Lücke zu füllen. Doch viele im Irak sprechen derweil von einem institutionalisierten Bürgerkrieg mit aufständischen Sunniten auf der einen und schiitischen und kurdischen Brigaden in Armee und Polizei auf der anderen Seite. Selbst Washington musste zugeben, dass schiitische Milizen einen Teil des Innenministeriums unterwandert haben und dort Geheimgefängnisse unterhalten.

Derweil hätte, wenn es nach Washington gegangen wäre, der Irak sich nach Saddam Hussein in eine friedliche, stabile Demokratie verwandeln sollen, die der ganzen Region als Beispiel dient. Stattdessen setzten sich zum dritten Jahrestag der US-Invasion arabische Kommentatoren mit einer ganz anderen irakischen Vorbildfunktion auseinander. „Wir wissen jetzt, wie zerbrechlich moderne arabische Staaten sind“, schreibt die überregionale libanesische Daily Star. „Der Irak hat gezeigt, dass die Loyalität der Araber zum Stamm, zur Religion und zur Volksgruppe im Krisenfall stärker ist als das Gefühl, Bürger eines Staates zu sein“, heißt es weiter. So werden im Internet bereits Karten veröffentlicht, die sich über George W. Bushs Vision vom „Großen Nahen Osten“ lustig machen, indem die autokratisch gelenkten Staaten wie Dominosteine in Richtung Demokratie fallen. Stattdessen wird eine Landkarte gezeigt, in der der Irak aus drei Teilen besteht: aus Großkurdistan, Großschiitistan und Großqaidastan.

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