Brüchige Liebe

DEBAKEL Der Hamburger SV blamiert sich im Heimspiel gegen Hoffenheim und befindet sich prompt wieder im Katastrophenmodus. Der selbst ernannte Europapokal-Anwärter erntet die Wut der eigenen Fans

AUS HAMBURG HENDRIK BUCHHEISTER

Beim Hamburger SV findet vor Spielbeginn neuerdings ein Akt der Verbrüderung statt zwischen den Profis und dem Publikum. Die Spieler nehmen Aufstellung vor der Fankurve, heben die Arme über den Kopf und klatschen in die Hände, erst in längeren Abständen, dann immer schneller. Die Menschen auf der Tribüne machen es genauso, bis die Zeremonie schließlich in wilden Anfeuerungsrufen für das Team endet. Das gemeinsame Einklatschen soll den Spielern Mut machen und es soll den Zusammenhalt zwischen der Mannschaft und ihren Fans zeigen.

Doch wie brüchig diese Beziehung ist, war gegen 1899 Hoffenheim zu sehen und vor allem: zu hören. Nach dem 1:3 durch Anthony Modeste in der 67. Minute war das Publikum endgültig verstimmt. In der Arena im Volkspark erklang ein wütendes Pfeifkonzert, vor allem der aus Fürth gekommene Innenverteidiger Lasse Sobiech wurde bei seinem ersten Heimspiel vom Zorn der Fans getroffen. Nach dem 1:4 durch Modestes zweiten Treffer flüchteten viele Zuschauer aus dem Stadion, sie verpassten das Tor des herausragenden Roberto Firmino zum 1:5-Endstand und die Auswechselung von Kapitän Rafael van der Vaart, der bei seinem Abmarsch ebenfalls heftig ausgepfiffen wurde. Nach dem Spiel wagten sich die Profis nur zögerlich vor die brodelnde Fankurve. Torhüter René Adler zeigte Verständnis für den Unmut: „Die Fans tun mir leid. Sie müssen für so eine Scheiße auch noch Geld bezahlen.“

Die Stimmung hat sich schnell wieder gedreht in Hamburg. Mit ihrem Debakel im ersten Heimspiel hat die Mannschaft das Gefühl von Aufbruch und Neuanfang zerstört, das sie eine Woche zuvor mit dem ordentlichen 3:3 auf Schalke erzeugt hatte. Nach dem 1:5 gegen Hoffenheim befindet sich der HSV wieder im Katastrophenmodus. „Wenn wir so auftreten, landen wir nicht in den Regionen, in die wir wollen, das ist klar“, sagte Trainer Thorsten Fink. Zur Erinnerung: Der HSV hat hochoffiziell den Einzug in die Europa League zum Saisonziel erklärt. Daran halten sie vorerst fest: „Wir werden unsere Ziele nicht schon nach zwei Spielen revidieren“, sagte Fink, auch wenn ihn der wankelmütige Charakter seines Teams verzweifeln lässt. Seit seinem Amtsantritt in Hamburg habe er „nicht einmal zwei, drei Spieltage durchatmen“ können. Das 1:5 gegen Hoffenheim hat dem Trainer die ernüchternde Erkenntnis gebracht, dass seine Mannschaft in den Disziplinen Konstanz und Stabilität keine Fortschritte macht.

Das System ohne echten Stürmer, das gegen Schalke gut funktioniert hatte, brachte gegen Hoffenheim keinen Ertrag. Der einzige Hamburger Treffer zum 1:1-Ausgleich gelang Kapitän van der Vaart per Elfmeter. Der Weggang von Torjäger Heung-Min Son nach Leverkusen könnte ein echtes Problem werden für die Hamburger, zumal der Verein kein Geld für gleichwertigen Ersatz hat. Übertroffen wurden die Mängel in der Offensive vom Totalausfall der Abwehr in der letzten halben Stunde. „Wir sind ständig hinterhergelaufen, kamen nicht in die Zweikämpfe – und wenn doch, dann haben wir sie verloren“, sagte Lasse Sobiech, der wie sein Innenverteidiger-Kollege Heiko Westermann eine erschreckende Leistung bot.

Hoffenheims Trainer Markus Gisdol nahm die Hamburger in Schutz: Mit 5:1 sei das Ergebnis „sicher ein bisschen zu hoch ausgefallen“, sagte er – und hatte damit einerseits recht, andererseits war die Tendenz klar: Die Gäste waren dem HSV in allen Belangen überlegen und ließen den selbst ernannten Europacup-Anwärter aussehen wie eine Altherrenmannschaft. Auf entsprechende Strafmaßnahmen verzichtet Hamburgs Trainer Fink – seine Mannschaft hat bis Dienstag frei. Die Spieler sollen sich Gedanken darüber machen, was sie in der nächsten Partie bei Hertha BSC ändern müssen.