Gefangen im Gewölbe

Jahrzehntelang interessierte sich niemand für den Keller der 1938 niedergebrannten Bremer Synagoge. Erst der drohende Abriss löste eine Debatte aus – über einen Ort für das Gedenken an die Nazi-Pogrome. Ein Rundgang zwischen Denkmalschutz, Gemeindekassen und der Angst vor dem Eklat

„Da hätte sich doch irgendwann mal jemand den Keller ansehen müssen.“

aus Bremen ARMIN SIMON

Am Fuß der Stufen wartet eine schlichte Tür, dahinter weiß getünchte Gänge, bröckelnder Putz. Bernd Möllers führt ohne Zögern hinunter, sperrt auf, macht das Licht an. Er hat schon Übung darin. So viele Besucher wie in den letzten Tagen wollten noch nie seinen Keller sehen. Den Keller des Kolpinghauses im Bremer Schnoor, dem pittoresken Touristenviertel unweit der City. „Ein Keller von Bürgerhäusern aus dem Jahre 1820“, sagt Möllers beim Hinuntergehen. Und lässt durchblicken, dass das Interesse der katholischen Kirche an weiteren Berichten über das Gewölbe gering ist. „Das gute Verhältnis, das wir zur jüdischen Gemeinde haben, soll auf keinen Fall gestört werden“, drückt es der Sprecher der Bremer Katholiken, Wilhelm Tacke, aus.

Es war schon knapp davor. Denn das „Bürgerhaus von 1820“, zu dem der „stinknormale Keller“ gehörte, baut die israelitische Gemeinde Bremens Ende des 19. Jahrhunderts zur Bremer Synagoge um. Die SA brennt den „Judentempel“ am 9. November 1938 nieder, die verkohlten Reste lässt die Stadt abreißen. Nur der Keller bleibt.

Möllers ist Leiter des Bildungswerks der Katholiken mit Sitz in dem schlichten Nachkriegsbau, den die katholische Kirche auf dem Gewölbe errichtet hat. 40.000 Mark zahlte sie für das Grundstück im Herzen der Stadt, 1954. Die dezimierte jüdische Gemeinde Bremens hatte das Geld bitter nötig. „Man stand mit dem Rücken an der Wand“, begründet die heutige Vorsitzende der Gemeinde, Elvira Noa, den Notverkauf: „Man hatte keine Wahl.“

Möllers führt nach rechts, nach links, öffnet weitere Türen. „Wo sind wir jetzt?“, will einer wissen. Es ist, als hätte Möllers auf diese Frage nur gewartet. „Das ist das Problem“, antwortet er. Der Keller zieht sich unter der ganzen Häuserreihe entlang. Von Synagoge keine Spur.

Den Bremer Landesdenkmalschützer Georg Skalecki, der kürzlich ebenfalls durch das Gewölbe stapfte, störte das nicht. Skalecki ignorierte auch die Kabelstränge an den Wänden, die Heizungsrohre an der Decke und die nachträglich eingezogenen Zwischenmauern. Die tragenden Säulen aus Back- und Sandstein haben es ihm angetan. „Das ist das Letzte, was die Nazis übrig gelassen haben“, sagt er, ein „authentisches Zeugnis in Stein“. Skalecki hat sein Veto gegen den Abriss eingelegt.

Damit hat er die Diskussion erst richtig ins Rollen gebracht. Denn die katholische Kirche hat das Haus samt Keller und Grundstück bereits weiterverkauft, für eine runde Million Euro, an einen Investor, der dort Wohnungen mit Tiefgarage errichten will. Noa: „Die Idee, das jetzt zu verkaufen, damit man an Geld kommt, das hat einige von uns doch seltsam berührt.“

Vom Denkmalschutz, unter dem der Keller steht, will die katholische Kirche nichts gewusst haben. Der jüdischen Gemeinde erzählt sie nichts vom geplanten Verkauf. Er habe das Haus „auf Abriss“ erworben, sagt Investor Lüder Kastens. „Offensichtlich sollen vollendete Tatsachen geschaffen werden“, vermutet man in der jüdischen Gemeinde.

Das katholische Bildungswerk selbst organisiert eine Podiumsdiskussion, im Saal direkt über dem Keller, dessen Abriss besiegelt scheint, „am Ort der ehemaligen Synagoge“, wie es im Flyer heißt. Titel der Veranstaltung: „Brauchen wir Orte des Erinnerns?“ Flugblätter, die zur „Gründung einer Bürgerinitiative, zur Rettung der alten Synagoge“ aufrufen, machen die Runde. Der Ortsbeirat setzt das Thema auf die Tagesordnung. Die Frage, was mit dem Gewölbe geschieht, müsse „auf höchster Ebene behandelt werden“, sagt Sprecherin Monika Heuß (Grüne). Ein entsprechendes Schreiben an Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hat das Stadtteilparlament in diesen Tagen abgeschickt.

Man sei „von dieser Brisanz des Themas total überrascht“, sagt Katholiken-Sprecher Tacke. Zwar sei der Keller „natürlich Teil der Synagoge gewesen, das ist vollkommen klar“. Nur habe das keinen interessiert, 50 Jahre lang. „Sonst hätte da doch irgendwann einmal jemand auf die Idee kommen müssen, sich den Keller anzusehen.“

An größerem Aufsehen aber ist der Kirche nicht gelegen. Propst Lüttel entschuldigt sich bei der jüdischen Gemeinde. Und bietet an, einen Raum in dem Neubau zurückzukaufen und diesen für eine Gedenkstätte zur Verfügung zu stellen. „Sehr zufrieden“ sei sie damit, sagt Gemeindevorsteherin Noa: „Das zeigt, dass die katholische Kirche sich in gewisser Weise verantwortlich fühlt für die Erinnerung an diesen Ort.“ Das Gewölbe, das stets nur als Keller genutzt worden sei, müsse dafür nicht erhalten werden, findet sie: „Der Keller hat keine Bedeutung.“

Ganz im Gegensatz zum Nachbarhaus, dem ehemaligen jüdischen Gemeindehaus, auch „kleine Synagoge“ genannt, das die katholische Kirche ebenfalls verkauft hat und das bis 1938 für Wochentagsgebete genutzt wurde. Die alten Mauern, die SA und Krieg überstanden haben, sollen ebenfalls der Abrissbirne zum Opfer fallen. Den Denkmalschützer stört das nicht. Es sei der „von der Funktion her untergeordnete Bau“ gewesen, zudem erst wesentlich später von der jüdischen Gemeinde dazuerworben und schon tief greifend umgebaut worden. Originale Details im Innern seien hier nicht mehr zu erwarten.

„Dieses Haus gibt es noch so, wie es damals war“, hält Beiratssprecherin Heuß dagegen, die nochmals mit dem Denkmalschützer reden will. Und Investor Kastens zeigt sich ebenfalls „überrascht, dass jetzt nur auf den Keller so abgehoben wird“. Eine öffentliche Debatte darüber, welche Gebäudeteile aus welchem Grund erhaltenswert sein könnten, wird indes immer unwahrscheinlicher. Im kleinen Kreis, so ist zu hören, haben sich Investor, Kirche, jüdische Gemeinde und Denkmalschutz bereits auf einen Kompromiss verständigt. Demnach soll das ehemalige Gemeindehaus abgerissen, der Gewölbekeller der ehemaligen Synagoge dafür erhalten, von der Kirche zurückgekauft und zu einer Gedenkstätte umgebaut werden. „Keiner“, sagt Skalecki, „will Dokumente zerstören.“