„Transgender ist auch Sampling“

Warum Drag-Queens in Bluejeans reisen: Der Elektronikkomponist Terre Thaemlitz über Existenzängste, Intoleranz, die produktive Ambient-Langeweile und sein Hörstück „trans-sister radio“, das heute im Rahmen der MaerzMusik aufgeführt wird

INTERVIEW BJÖRN GOTTSTEIN

taz: Guten Morgen, Herr Thaemlitz. Sie sind gestern Abend aus Tokio nach Berlin gekommen – vermutlich sind Sie aber nicht in Drag eingereist?

Terre Thaemlitz: Das stimmt. Aber das hat auch etwas mit Bequemlichkeit zu tun. Bei einem vierzehnstündigen Flug sind Jeans einfach angenehmer.

In dem Stück „trans-sister radio“, das Sie heute bei MaerzMusik aufführen, geht es aber auch um die Angst und die Paranoia, als Transgender zu reisen?

Mir ist aufgefallen, dass sich noch kaum jemand darüber Gedanken gemacht hat. Was passiert, wenn ich als Frau einreise, mein Pass mich aber als Mann ausweist? Letztes Jahr wurde ich am Flughafen von Barcelona aufgefordert, meine Frauenkleidung zu verzollen, weil man sie für Geschenke oder Waren hielt. Aus Angst vor Schikanen kleiden sich die meisten Transgender ihrem offiziellen Geschlecht entsprechend. Doch das Problem ist grundsätzlicher Natur: Wann sind Sie zuletzt im Supermarkt oder in der Bank von einem Mann in Frauenkleidung bedient worden? Es geht nicht um Schönheitsköniginnen, die in Talkshows auftreten, sondern darum, sein Leben in den Griff zu bekommen.

In einer Gesellschaft, die solches Leben selten akzeptiert?

Die meisten Transgender haben einfach Höllenangst. Das gilt übrigens auch für eine vermeintlich tolerante Stadt wie Berlin. Bei meinem letzten Aufenthalt wurde eine Freundin von mir mit einem Messer bedroht. Diese Angst und Unsicherheiten sind Gegenstand des Stückes.

Sie arbeiten vor allem mit den Mitteln der elektronischen Musik, mit Field Recordings und Klangflächen. Was eignet sich an diesem Medium, um solchen Fragen nachzugehen?

Als ich vor etwa zehn Jahren anfing, das Problem des Crossgender mit Elektronik in Verbindung zu bringen, ging ich davon aus, dass Techniken des Transgendering auch Züge des musikalischen Sampling tragen. Ich sample Geschlechtssignifikanten, die ich in einem anderen Körper rekontextualisiere.

Aber klingt es von sich aus transgendert?

Nein. Musik ist ein Medium. Wie im Umgang mit Sprache oder Bildern auch, ist es wichtig, was man sagen möchte. Ich bin immer sehr klar und spezifisch, in meiner Musik, meinen Texten, meinen Videos. Aber ich versuche auch, die unterschiedlichen Medien gegeneinander auszuspielen.

Sie greifen erstaunlich oft Stereotypen von Ambient auf – einer Musik, die gemeinhin als akustischer Schnuller gilt.

Der Begriff Ambient hat seine Bedeutung verloren. In den Siebzigerjahren hatte es noch etwas mit existenzieller Entfremdung zu tun. Berühmt ist die Geschichte Brian Enos, der mit einem Beinbruch im Bett lag und das Radio, das die ganze Nacht über vor sich hin plätscherte, nicht ausschalten konnte. Aus dieser Erfahrung ist Ambient entstanden. In den späten Achtzigern gab es dann ein weiteres subversives Element, als man offensiv auf Melodien und Beats verzichtete und die Mechanismen des Musikmarkts unterwanderte. Heute ist der Begriff wertlos. Und auch wenn meine Musik oft ruhig und entspannend wirkt, wird sie doch immer von störenden Elementen kontrastiert.

Trotzdem ist es eine ästhetische Entscheidung.

Ich will jetzt nicht allzu marxistisch oder materialistisch klingen. Aber mir sind die Produktionskontexte wichtig. Die Verkaufsstrategien der Musikindustrie zielen auf gute Gefühle und Spaß; gesellschaftliche Inhalte werden grundsätzlich vermieden. Das gilt auch für die Rezeption einzelner Popsongs. John Lennons „Imagine“ zum Beispiel wurde vor kurzem in den USA von der katholischen Kirche für einen Werbespot benutzt. Das ist die totale Vergewaltigung eines Stücks, das man sich kritischer, marxistischer nicht vorstellen kann. Nur weil Lennon „imagine“ singt, bedeutet das ja nicht, dass er es nicht so meint. Wenn ich Popsongs sample, dann versuche ich immer den ursprünglichen Kontext und diesen politischen Aspekt wiederherzustellen.

Aber wäre es nicht einfacher, gleich einen Popsong zu schreiben?

Was mir an der elektroakustischen Musik gefällt, ist die Langeweile. Anders als bei Boys II Men oder Britney Spears geht es ja nicht um den high punch. Elektronische Musik braucht Zeit. Man bemüht sich, einen Augenblick zu fokussieren, was aber nicht gelingt, weil er viel zu lange dauert. Dieser Widerspruch gefällt mir, auch weil er uns von unseren kommerziell geschulten Hörgewohnheiten befreit. Der erste Schritt besteht darin, etwas anderes zu wollen als bloße Energie. Man sollte stattdessen die Bereitschaft entwickeln, sich auf Langeweile als ästhetische Erfahrung einzulassen. Bis das geschieht, ist das Konzert meist schon zur Hälfte vorbei.

Wie spontan und frei sind denn Ihre Konzerte?

Ich improvisiere nicht gern. Der wichtigste Teil meiner Arbeit ist das Schneiden und Edieren. Dort entstehen Strukturen, die Inhalte verdeutlichen und präzisieren. Wenn ich auf einem Festival wie der MaerzMusik spiele, wo auch das klassische Orchesterkonzert gepflegt wird, dann enttäusche ich oft die Erwartungen, die man an einen Liveauftritt knüpft. Ich verspüre keinen Drang, mich als Musiker auszuleben, sondern spiele mit den Klischees des Livekonzerts.

Aber deshalb werden Sie „trans-sister radio“ doch nicht einfach in der CD-Fassung abspielen?

Nein. Ich werde, gemeinsam mit meinem Duopartner Saki, performative Elemente einbauen, mit den Klangvorstellungen des Radios arbeiten und das Stück live rekonstruieren.

Heute Abend, 22 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24