In den dunklen Ecken des Internets

INTERNETSPERREN Im Kampf gegen Kinderpornografie fordert die EU-Kommission härtere Maßnahmen

„Europa hat schlimme Erfahrungen mit Zensur gemacht“

CHRISTIAN ENGSTRÖM, PIRATENPARTEI

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die EU-Kommission fordert von allen Mitgliedstaaten Internetsperren gegen Kinderpornografie. „Das Herunterladen oder Anschauen von Kinderpornografie im Internet hat zur Folge, dass immer mehr Kinder vergewaltigt werden, um derartige Bilder zu produzieren“, erklärte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am Montag in Brüssel. Die Sperren sollen dabei helfen, „mit den dunklen Ecken des Internets und den kriminellen Bildern von Kindesmissbrauch aufzuräumen“, hatte sie zuvor in einem Artikel für die Onlineausgabe der FAZ geschrieben.

Die Mitgliedstaaten sollen unter anderem sicherstellen, dass der Zugang zu derartigen Seiten gesperrt werden kann. Sollte sich die Innenkommissarin mit ihren Plänen durchsetzen, müssten alle EU-Staaten die entsprechenden Maßnahmen in nationale Gesetze überführen.

Der Richtlinienvorschlag sieht einen EU-weiten Strafrahmen von fünf Jahren Haft für leichte Vergehen und bis zu zehn Jahren Haft für schwere Fälle von sexuellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern vor. Strafbar soll es künftig auch sein, Kinder über das Internet anzulocken (grooming), sie vor Webcams sexuell posieren zu lassen oder kinderpornografische Inhalte online zu betrachten. Pädophile Sextouristen sollen in der gesamten EU strafrechtlich verfolgt werden können.

Diese Forderungen dürften in den meisten Mitgliedstaaten akzeptiert werden – wenngleich in Deutschland FDP, Sozialdemokraten und Grüne überlegen, das seit Februar geltende Netzsperren-Gesetz wieder aus der Welt zu schaffen. Hinzu kommt, dass Internetsperren in vielen Ländern auf Widerstand von Netzaktivisten stoßen, die darin einen ersten Schritt für umfassende Zensur sehen (siehe Text unten).

„Es geht um Verbrechen, nicht um Meinungsfreiheit“ CECILIA MALMSTRÖM, EU-KOMMISSION

Malmström hält dem entgegen, dass die Seiten meist außerhalb der EU ins Netz gestellt würden und oft mehrmals am Tag die Adresse wechselten. Sie zu löschen sei daher schwierig, Internetsperren aber könnten Wirkung zeigen. „Die meisten Pädophilen sind schließlich keine Hacker. Sie wissen nicht, wie man die Blockaden umgehen kann. Außerdem ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es ein Verbrechen ist, die Seiten zu nutzen.“

Malmströms Landsmann Christian Engström von der Piratenpartei hält diese Argumente für Polemik. „Ich war schockiert, als ich von den Plänen der Kommission erfuhr“, sagte er der taz. Schließlich garantiere Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention den freien Zugang zu Informationen. „Europa hat schlimme Erfahrungen mit Zensur gemacht. Diesen Weg sollten wir kein weiteres Mal beschreiten.“ Allenfalls ein richterlicher Beschluss könne eine Sperre rechtfertigen. Keinesfalls dürfe es dazu kommen, dass Internetprovider auf der Grundlage einer schwarzen Liste Seiten sperren müssten.

„Hier geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um ein enormes Verbrechen“, hält Malmström dagegen. „Was in gedruckter Form oder im Fernsehen verboten ist, darf auch im Internet nicht geduldet werden.“ Malmström glaubt, sich der Unterstützung vieler Europaabgeordneter und vieler Mitgliedstaaten sicher. Sollte nur Deutschland die Richtlinie blockieren, würde das nichts nützen. Nach dem Lissabon-Vertrag würde die Mehrheit des Rates und des Europaparlaments für ein Gesetz genügen.