„Einbürgerungstests führen zu Heuchelei“

Fragebögen zur Einbürgerung sind nutzlos, sagt der Experte. Besser wäre es, den Migranten Alltagswissen in Kursen anzubieten

taz: Herr Oberndörfer, was halten Sie von Einbürgerungstests, wie sie in Hessen geplant sind?

Dieter Oberndörfer: Diese Tests gehen von einem stilisierten Durchschnittsdeutschen aus, der so nicht existiert. Dem Fragenkatalog liegt die Prämisse zu Grunde, dass Bewerber für die Einbürgerung völlig assimiliert seine sollen. Diese Assimilierung wird am Bild eines „typischen Deutschen“ gemessen. Fakt ist aber, dass die große Mehrheit der Deutschen den Test nicht bestehen würde. Hier wird also von Zuwanderern etwas verlangt, was die meisten deutschen Staatsbürger nicht leisten können. Auch Menschen, die von den Fragen des Tests keine Ahnung haben, könnten gute Bürger sein. Durch den Test werden Millionen tüchtiger deutscher Bürger abgewertet.

Was sollten Einbürgerungswillige über Deutschland wissen?

Wir sollten ihnen Wissen anbieten, das ihnen etwas bringt. Eine Einführung in unsere grundrechtliche Ordnung und vor allem alltagstaugliches Wissen, zum Beispiel, was nötig ist um hier den Führerschein zu machen. Das ist wichtig für die Integration. Solche Integrationskurse wären für ihre Integration ein gutes Mittel. Der hessische Einbürgerungstest ist es nicht. Da sind Fragen aus „Wer wird Millionär“ noch besser geeignet. Viele Fragen haben hier wenigstens einen Bezug zur wirklich existierenden Alltagskultur. Bildungsfragen, wie etwa über die Reformation, die wahrscheinlich nur ein Historiker angemessen beantworten könnte, bringen nichts.

Sind Gesinnungsfragen ein angemessenes Mittel, Einwanderungswillige auf ihre Einstellung zu testen?

Das halte ich für völlig fatal. Wer solche Test durchführt, vergisst, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben. In ihr gibt es eben auch Menschen, die andere Meinungen haben als die Tester. Wenn eine Einbürgerung von solchen Fragen abhängig gemacht wird, führt das zu Heuchelei.

Aber es gibt doch Menschen, die der Verfassung feindlich gegenüber stehen. Sollte es nicht Kriterien geben, das vor der Einbürgerung zu überprüfen?

Es reicht, wenn eine Anfrage an den Verfassungsschutz geht, wie das auch schon gemacht wird. Natürlich wollen wir keine Verfassungsfeinde einbürgern. Aber Fragenkataloge wie in Hessen sind nicht das richtige Mittel, das herauszufinden. Es gibt auch Menschen, die unsere Geschichte genau kennen und uns dennoch hassen.

Was sollte denn ein Einbürgerungskandidat nach Deutschland mitbringen?

Wichtig ist die Identifizierung mit unserem Land. Die gibt es aber nicht, wenn wir diesen Menschen ständig unser Misstrauen ausdrücken. Wir sollten lieber Angebote machen, die es ihnen erleichtern, sich hier zurechtzufinden. Durch solche Tests wird sich die Stimmung unter den Migranten verschlechtern. Ihr Einbürgerungswille wird abnehmen. Das Gegenteil wäre jedoch notwendig.

Wir brauchen also in Deutschland mehr Einbürgerungen?

Ja. Einbürgerung ist ein wichtiger Weg zur die Integration von Migranten. Damit werden sie zu gleichberechtigten Bürger. Sie haben einen sicheren Aufenthaltsstatus und können auch politisch mitwirken.

INTERVIEW: KERSTIN SPECKNER