Reporter auf der Flucht

AUSLIEFERUNG Das tadschikische Regime instrumentalisiert Interpol, um kritische Journalisten zu verhaften

VON MARCUS BENSMANN

Mit dem Nachtflug der Lufthansa aus Tiflis flog Dodojon Atovulloev in die Freiheit nach München. Wie so oft in den letzen 20 Jahren ist der tadschikische Exiljournalist und Oppositionelle mit knapper Not aus dem zentralasiatischen Heimatland an der afghanischen Grenze entkommen.

„Ich bin wieder frei“, sagte Atovulloev nach seiner Ankunft am Mittwochmorgen in München, denn Georgien habe sich als Rechtsstaat erwiesen, und Deutschland habe sich für einen Flüchtling eingesetzt.

Atovulloev lebt gefährlich. So wurde er 2001 in Russland verhaftet und konnte nur mithilfe des damaligen Außenministers Joschka Fischer befreit werden. 2012 überlebte er in Moskau ein Messerattentat.

Die tadschikische Macht hat sich diesmal bei der Journalistenjagd der internationalen Agentur zur Kriminalitätsbekämpfung Interpol bedient und den 59-Jährigen wegen Terrorismus und anderer schwerer Straftaten zur Fahndung ausgeschrieben. Als Atovulloev am Dienstag in der georgischen Hauptstadt landete, wurde er von Sicherheitsbeamten festgesetzt mit dem Hinweis, dass Tadschikistan seine Auslieferung fordere.

Dabei ist der Journalist seit zehn Jahren in Deutschland ein anerkannter Flüchtling und Inhaber eines UN-Flüchtlingspasses und dürfte nach internationalem Recht nicht in das Verfolgungsland ausgeliefert werden – was dann auch nicht geschah.

„Wir beobachten in letzter Zeit, dass Länder wie Russland, Usbekistan oder wie hier Tadschikistan Interpol missbrauchen und Flüchtlinge, die sie verfolgen, festsetzen lassen“, kritisiert der Berliner Flüchtlingsanwalt Bernward Ostrop. Auch wenn in vielen Fällen die Auslieferung verhindert werden könne, so seien die Auslieferungshaft und die damit verbundenen Ängste des Flüchtlings vor erneuten Repressalien in dem Verfolgerland besonders tragisch. „Interpol hat keinen funktionierenden Mechanismus, der in diesen Fällen verfolgte Flüchtlinge vor Inhaftierung schützt“, bemängelt der Anwalt.

Tadschikistan hat über Interpol allein in dem letzten halben Jahr weltweit drei Regimekritiker festgesetzt. Während zwei freikamen, kämpft der dritte Oppositionspolitiker bis heute vor Gerichten in Dubai gegen die drohende Auslieferungen.

Im Herbst werden Präsidentschaftswahlen in dem bitterarmen Staat abgehalten. Die Regierungsclique um den seit 1994 herrschenden Präsidenten Emomali Rachmon ist nervös, auch wenn das Land bis heute keinen demokratischen Urnengang gesehen hat. Das Land liegt wirtschaftlich am Boden. Korruption und Drogenhandel haben sich tief in die staatlichen Strukturen gefressen.

Vor allem der tadschikische Journalist Atovulloev und Gründer der Oppositionsbewegung Vatandor ist den Herrschenden in Duschanbe ein Dorn im Auge, seit er seit einem halben Jahr regelmäßig auf dem satellitengestützten Sender K+ auftritt und den Präsidenten kritisiert. Besonders Verbreitung fand ein Video, das den tadschikischen Staatschef bei der pompösen Hochzeit seines Sohns ausgelassen tanzend und singend zeigte, während ein Staatsdekret der Bevölkerung ausschweifende Hochzeitsfeiern verboten hat.

Der von Moskau operierende Sender hat das Fernsehmonopol der zentralasiatischen Despoten geknackt und entwickelte sich zur Plattform der Opposition.