30 Jahre altes Wasser
: Immer frisch

Das Berliner Trinkwasser eignet sich nicht zur Selbstmedikation. Das ist, überspitzt gesagt, das gestern verkündete Ergebnis einer groß angelegten Studie des Kompetenzzentrums Wasser Berlin (KWB). Denn die Belastung des Trinkwassers durch Arzneimittel- und Antibiotikarückstände ist laut KWB so gering, dass diese kaum noch nachweisbar sind. Zu verdanken sei die hervorragende Trinkwasserqualität der natürlichen Uferfiltration.

Das Berliner Trinkwasser wird vor allem durch tiefe Brunnen an den Ufern von Spree und Havel gewonnen. Ein Drittel des Grundwassers stammt aus Regenfällen, der Rest aus versickertem Fluss- und Seewasser. Das Flusswasser wird durch den feinen märkischen Sand gefiltert, sodass es Trinkwasserqualität erreicht.

Obwohl diese Uferfiltration für die Trinkwasserversorgung der Stadt also von erheblicher Bedeutung ist, wusste man bisher nicht so recht, wie sie genau von statten geht. Eine Black Box sei der Wasserweg vom Fluss zur Brunnensohle gewesen, sagte Ludwig Pawlowski, der Leiter des KWB. In der weltweit größten Studie, die je zu diesem Thema gemacht wurde, haben die Wasserexperten erforscht, wie effektiv die Uferfiltration ist.

Bereits in den ersten Metern werde ein Großteil der Schadstoffe wie Dünger, Antibiotikaspuren oder Keime durch Mikroorganismen verspeist. Die am Ende der Filtration messbaren Rückstände seien vernachlässigenswert und für den Menschen in keiner Weise mehr schädlich. Nebenbei konnten die Forscher das Alter des Wassers bestimmen, das die Berliner täglich trinken. „Es ist mindestens 60 Tage, höchstens 30 Jahre und im Durchschnitt zwölf Jahre alt, aber immer frisch“, so Pawlowski.

Auch beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erkennt man die gute Trinkwasserqualität in der Stadt an. Ob die Arzneimittelrückstände so harmlos sind, wie vom KWB behauptet, will man weder bestätigen noch ausschließen. „Daran scheiden sich die Geister“, sagte Winfried Lücking, der Gewässerreferent des Berliner BUND. „Selbst wenn die Arzneimittelrückstände an der Grenze der Nachweisbarkeit sind“, so Lücking, „darf man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Medikamente können schon in geringen Dosen wirken.“ Lücking verweist auf zoologische Untersuchungen, die den Einfluss von Hormonrückständen auf die Geschlechtsbildung von Fischen nachgewiesen hätten.

Professor Kloas vom Berliner Leibniz-Institut für Binnenfischerei und Gewässerökologie kennt diese Studien. „Man hat dabei etwa Regenbogenforellen in die Ausläufe von Kläranlagen gehängt“, erklärt er. Danach seien die Tiere verweiblicht, wegen der Hormonrückstände im Wasser. „Einen Kilometer von der Kläranlage entfernt haben sich Forellen jedoch nicht verändert.“ Ein Risiko für den Menschen sieht der Professor nicht. Für das Ökosystem will er eine Gefährdung aber nicht ausschließen.

Dass den Berliner Männern nun Brüste wachsen, wenn sie ausgiebig aus dem Hahn trinken, steht also nicht zu befürchten. Und wer versucht, eine hartnäckige Grippe mit den Antibiotikaspuren aus Spree- und Havel-Wasser zu bekämpfen, den muss Pawlowski vom KWB enttäuschen. Diese Form der Selbstmedikation ist wenig praktikabel: „Um den Wirkstoff einer Antibiotikatablette aufzunehmen, muss man täglich drei Liter ungefiltertes Havelwasser trinken, und zwar zwei Jahre lang.“

Torsten Gellner