Kritikerin macht weiter

PROZESS

Sie habe den Betriebsfrieden gestört und sich geweigert, Sanktionen gegen ihre „KundInnen“ zu verhängen – mit diesem Argument schasste das Jobcenter Hamburg seine langjährige Mitarbeiterin Inge Hannemann im April dieses Jahres. Dagegen versuchte sich die 45-Jährige durch ein Eilverfahren vor dem Hamburger Arbeitsgericht zu wehren, doch das Gericht wies Hannemanns Antrag Ende Juli ab. Am 28. August beginnt nun das Hauptklageverfahren.

Hannemann hat bundesweite Bekanntschaft erlangt, seit sie in ihrem 2012 gestarteten Blog „altonabloggt“ unverblümt das Hartz-4-System und Missstände in den Jobcentern kritisiert. „Was ich sage, ist nichts Neues“, erklärte Hannemann. Doch mit ihr trat zum ersten Mal eine interne Kritikerin mit vollem Namen an die Öffentlichkeit.

Insbesondere die Sanktionspraktiken gegenüber Hartz-4-EmpfängerInnen sind Hannemann ein Dorn im Auge, ebenso das gegenseitige Misstrauen, das die Beratungsgespräche seit den Reformen von 2005 präge. In ihrer Position als Jobcenter-Mitarbeiterin begann sie vorhandene Spielräume zu nutzen – stets im Rahmen des Rechtmäßigen, wie sie betont. Anders als viele KollegInnen sanktionierte sie nur, wenn es nicht anders ging, sie verschob Termine und besuchte „KundInnen“ zu Hause, um nach Gründen für ihre Abwesenheit zu suchen. Erstgespräche deklarierte Hannemann systematisch als „Kennenlerngespräche“, um den Menschen die Angst zu nehmen.

In ihrem inzwischen weithin bekannten „Brandbrief“ an die Bundesagentur für Arbeit vom Februar dieses Jahres kritisiert Hannemann auch prekäre Anstellungsverhältnisse in Jobcentern. „Wie soll ein selbst Befristeter innere Sicherheit vermitteln? Und wie soll ein Befristeter mit der ständigen Unsicherheit umgehen, der nächste Tag könne der letzte sein?“, schreibt Hannemann. „So agieren die meisten stets linientreu, kopf- und statistikgesteuert – immer in der Hoffnung, noch am letzten Tag ihrer Befristung eine begnadete Verlängerung zu erhalten.“

Hannemann erwartet, die Hauptverhandlung zu verlieren, erklärt sie der taz. Sie wolle „durch die Instanzen gehen“. Für Hannemann zeigt ihr Fall, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung ignoriert werde.  TSC