Bitte nur nicht auflegen

Jean Cocteau schrieb 1930 mit „Die geliebte Stimme“ den ersten Telefon-Monolog der Bühnen-Geschichte. Das Freie Theater „sursum corda“ verlegt ihn im Münsteraner Pumpenhaus ins Zeitlose

AUS MÜNSTERMARCUS TERMEER

Im Bett liegend kämpft eine Frau telefonierend mit dem Ex um ihre Liebe. „Du wolltest doch noch mal anrufen“. Zum letzten Mal rechtfertigt sie gegen Ende des mehrfach unterbrochenen ultimativen Telefonats mit dem Mann, der sie gerade verlassen hat, ihre Illusion. Vorher hat sie gelogen, verzweifelt gelacht. Sie war nicht, wie sie behauptet, mit der Freundin essen gegangen. Sie war praktisch gar nicht aus dem Haus gegangen, hatte statt dessen das Telefon mit ins Bett genommen – in Panik vor dem Verlassenwerden sogar eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Sie konnte das Zimmer ja auch nicht verlassen. Für die Jüngeren: Noch vor 15 Jahren konnte man und frau in existenziellen Liebesdingen oder in Erwartung eines Anrufs an das heute so genannte „Festnetz“ und damit dauerhaft an die Wohnung gefesselt sein.

Mit Jean Cocteaus „Die geliebte Stimme“ von 1930, das 1948 schon mit Anna Magnani verfilmt wurde, bringt das freie Theater „sursum corda“ jetzt sein Einpersonenstück auf die Bühne des Pumpenhaus in Münster. Der französische Schriftsteller, Regisseur, Maler und Choreograf reflektiert darin die damals noch neue Form technikgestützter Distanzierung „mit diesem Apparat“ und schrieb gleichzeitig den ersten Telefon-Monolog der Theatergeschichte. Die einheimische Theatergruppe „sursum corda“ ist bereits bekannt mit Inszenierungen nach Robert Walser in Dachgeschossen der Westfälischen Landesklinik für Psychiatrie (“Jakob von Gunten“, 2000 und „alle geheilt. Schneewittchen“, 2004).

Cocteaus Thema ist auch die körperliche Nicht-Mehr-Verfügbarkeit des Geliebten, die so das Telefon zum Fetisch werden lässt. Doch wie inszeniert man das im Zeitalter der exzessiven Dauerverfügbarkeit per Handy, das in kurzer Zeit die bürgerliche Trennung von öffentlich und privat aufgehoben hat und so persönlichste Dinge lautstark in aller Öffentlichkeit verhandeln werden? Die Schauspielerin und ihr Regisseur Martin Jürgens misstrauen derartig paradoxen Entformalisierungen und verlegen das Telefon-Solostück einfach ins Zeitlose. Beate Reker brilliert dabei in der Rolle der nicht mehr jungen Frau zwischen Verlustangst, Sarkasmus, Verzweiflung und „Vernunft“ inmitten der, auch materiellen, Trümmer der Beziehung. Sie wehrt sich gegen sein Verlangen, einer vollständigen Tilgung – er verlangt nämlich nicht nur alle Briefe, auch seine Handschuhe und, und, und.

Die Dispute entfalten sich als „halbierter Dialog“: „Sein“ Part am anderen Ende der Leitung bleibt ausgespart. Er existiert nur durch „Sie“. Klug eingestreute Verfremdungsmomente die an Michael Haneke erinnern, dazu kurze, leicht verändernde Szenenwiederholungen zu Techno-Beats, verhindern ein Abnutzen des Stilmittels. Am Ende weicht die Regie von Cocteau ab, was etwas unvermittelt wirkt: „Sie“ zwingt „Ihn“, aufzulegen, nimmt die Schlaftabletten nicht mehr, deutet auto-erotische Bewegungen an. Ist das etwa eine neu gewonnene Autonomie?

20:00 Uhr, Pumpenhaus, MünsterInfos: 0251-233443