ACHSE DER WILDEN JUNGS – ARNO RAFFEINER

Souverän sexy

„Rude Boy“ stand auf dem Button zu lesen, den der wilde junge Prince zu „Controversy“-Zeiten auf dem Revers seines lila Ledermantels trug. Jimmy Edgar war damals noch gar nicht geboren, trotzdem hält er sich nur zu gerne an diese Vorgabe. Wie Prince paart er seinen Funk mit einer düster-sexy Attitüde. Alles an Edgars Musik ist Rhythmus, purer Funk, gefiltert durch den Electro von Cybotron und geschult an der digitalen Beatzerlegungswissenschaft des HipHop. Bereits vor zwei Jahren wurde der Detroiter Produzent mit dieser Mischung auf einer ersten EP als neuer Electro-Wunderknabe gefeiert, auf seinem ersten Album „Color Strip“ wird diese Soundessenz nochmals weiter konzentriert.

Edgar selbst gibt an, seine Stücke oft morgens nach langen Nächten unter Drogeneinfluss hinzurotzen. Wenn der Song im Kopf fertig ist, fließt er wie von allein in die Maschinen. Dieser Entstehungsprozess ist den Stücken nicht zwangsläufig anzuhören, denn trotz ihres spitzen digitalen Flirrens wirken sie wie aus einem Guss. Gerade diese Konzentration der sofort erkennbaren Jimmy-Edgar-Handschrift öffnet die Stücke für Einflüsse von Cyber-R-’n’-B über Popperfunk bis zu Disco.

Ein Stück wie „Personal Information“ könnte man sich, ausgestattet mit dem passenden Gesang einer R&B-Diva, auch in den Charts vorstellen. Doch Edgar winkt lässig ab, er zieht lieber sein eigenes Ding durch. Für einen so jungen, wilden Jungen klingt das alles fast schon zu souverän.

Jimmy Edgar: „Color Strip“ (Warp/Rough Trade)

Ganz oder gar nicht

Enik ist ein harter Brocken, und doch macht er es einem leicht: man kann ihn nur lieben oder hassen, für irgendwas dazwischen bleibt kein Platz. Schon beim Reinhören in das Album des jungen Münchners mit dem stechenden Blick ist klar: Hier will einer das ganz große Musikkino. Mit monumentalen Gesten, bittersüßen Widersprüchen, mit Theatralik und Overacting bis dahin, wo man im Reich der Künstlichkeit schon wieder an die Grenzen stößt.

Der Bastard aus Rock, Elektronik, Jazz und Anspielungen an die halbe Popgeschichte gibt dabei nur die Kulisse, den wesentlichen Antrieb zieht Eniks Musik immer wieder aus seiner räudig kratzenden Stimme. Die zischt, flüstert, windet sich durch mehrfach gegeneinander ankämpfende Chöre und will in jedem einzelnen Moment ein Fast-schon-Zuviel an Expressivität transportieren. Das erzeugt schon mal den Eindruck, dass sich Enik etwas zu übermütig und narzisstisch in eine Wunderkind-Pose wirft, und man muss das nicht mögen. Aber das Kunststück, in diesen ausgefeilt zerfransten Arrangements dennoch spontan zu bleiben und die Emotionen eben auch rüberzubringen, verdient Anerkennung. Schließlich gäbe es ohne Inszenierung kein musikalisches Ergebnis. Wer das als Prämisse voraussetzt, wird Eniks Verschränkung von Gefühl und Theatralik auch in ihrer etwas bemühten Art akzeptieren. „The Seasons In Between“ ist eben ein Album, das nur ein wilder Junge so hinkriegen kann. Man macht es mit Anfang 20 oder gar nicht.

Enik: „The Seasons In Between“ (Wonder/Labels)

Uferlos romantisch

Bloß weil die Sehnsüchte der jungen Musiktüftler sich (abgesehen von der alten erotischen Zweierbeziehung) nicht mehr auf ein Soziales im Sinne eines Bandkollektivs richten muss, heißt das noch lange nicht, dass damit zugleich Romantik und dicht verwobene Klangteppiche, wie sie in Feedbackbands seit den Sechzigerjahren Tradition haben, abserviert werden.

Nathan Fake, 22 Jahre junger Wuschelkopf aus dem englischen Norfolk, musiziert mit den Midi-Spuren und Plug-ins auf seinem Computer einfach, als wäre er eine ganze Band. Seinen Ruf als kleines Produzentengenie holte er sich trotzdem auf den Tanzflächen der Clubs ab, obwohl von ihm auch schon zu hören war, dass er mit Techno nicht besonders viel anfangen könne. Was auf seinen bisher erschienen Tracks noch in ein Four-to-the-floor-Schema zwischen Minimal House und Trance gepresst war, darf auf seinem Debütalbum nun völlig ausufern, die Beschränkungen der Genres wirft Fake nur allzu gerne von sich. Schon der Titel der LP ist hoffnungslos romantisch und dabei kein bisschen ironisch gemeint: „Drowning In A Sea Of Love“ heißt die Sammlung von Stücken, die es schafft, schreddernde Aphex-Twin-Aggression mit Indietronica und My Bloody Valentine zu versöhnen. Zwischen regelrechte Klangwände aus falschen Gitarren, Glockenspiel und endlosen Echos gießt Fake seine melodieverrückte jugendliche Sehnsucht in ein Meer wilder Jungsromantik, die zum Traumtanzen nicht unbedingt einen fetten Beat braucht.

Nathan Fake: „Drowning In A Sea Of Love“ (Border Community/Pias)