„Wenn es nicht klappt, baut man was anderes an“

GARTENWISSEN Isabelle Van Groeningen bringt die hohe Schule englischer Gartenkultur nach Deutschland

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Frau Van Groeningen, Sie sind mit Ihrer Partnerin aus England nach Deutschland gekommen. In Ihrem Gepäck hatten Sie Gartenkultur. Was genau ist das?

Isabelle Van Groeningen: Gute Frage, mit Gartenkultur ist die englische Tradition des Gärtnerns gemeint.

Und warum ist diese Tradition so besonders, dass Sie sie nun in der Königlichen Gartenakademie in Berlin weitergeben wollen?

Die Engländer haben ein sehr günstiges Klima für Pflanzen. Nicht zu kalt oder heiß, nicht zu trocken oder nass. Man hat deshalb schon immer viel in Gärten investiert, aber im 19. Jahrhundert erlebte das einen Boom. Viele englische Gutsbesitzer sponserten Leute, die die Welt bereisten und neue Pflanzen suchten. Japan, China, Südamerika sowieso. Gleichzeitig wurde es durch die industrielle Revolution möglich, große Gewächshäuser zu bauen, wo man die neuen Pflanzen kultivieren konnte. Ich habe eine Zeit lang für den National Trust, die englische Nationalstiftung, gearbeitet und da habe ich einen irrsinnig exzentrischen Garten aus dem 19. Jahrhundert rekonstruieren müssen. In dem steht bis heute eine Goldene Lärche aus China.

Ist das etwas Seltenes?

Etwas Besonderes. Natürlich war das sehr versnobt, sich so was in den Garten zu setzen. Wie es auch versnobt war, an Weihnachten noch frische Trauben bei Tisch anzubieten. Man wusste, wie man sie so lange frisch hält. Oder wie man in unserem Klima Ananas züchtet. Auch Erdbeeren im März gab es, obwohl die eigentlich erst im Juni reif sind. Der Obergärtner, der so was wusste, war der höchstbezahlte Angestellte bei Hofe. Er hatte aber auch die Verantwortung dafür, dass das ganze Jahr über genug Essen produziert wird für alle.

Heute muss man nicht mehr wissen, wie man Ananas oder Erdbeeren kultiviert, um sie im Winter auf den Tisch zu bringen. Wir können die einfliegen.

Die Kunst des Gärtnerns ist dadurch ärmer geworden. Allein was es früher an Werkzeug gab, das niemand mehr kennt – Bürsten, um Blattläuse von den Blättern zu streifen etwa. Aber natürlich haben wir heute Zugang zu viel mehr Pflanzen. Gleichzeitig verlieren die Leute das Saisonalgefühl.

Was man von Ihren Ausführungen lernen kann: Gartenkultur ist eigentlich Gartenwissen.

Das Kulturelle und die Geschichte gehören dazu, aber auch das Bauchgefühl. Gärtnern ist wie Kochen, sage ich immer. Wenn Leute mich fragen, wie viel Dünger ich auf meine Beete mache, sage ich, ach Gott, wie viel Salz mache ich an meine Kartoffeln? Bei manchen Sachen folgt man eben seinem Gefühl.

Sie haben sich Wissen und Bauchgefühl angeeignet?

Ich bin in Antwerpen aufgewachsen. Meine Eltern hatten einen Garten, da habe ich meine freie Zeit als Kind verbracht. Schon in meiner Sandkiste habe ich Samen ausgesät. Auch meinem Vater habe ich immer geholfen. Dabei lernt man sehr viel.

Also ist Lernen durch Beobachtung wichtig?

Ja, und da haben die Engländer wieder einen Vorteil. Sie wachsen nämlich fast alle in Häusern mit Garten auf. Die meisten Engländer haben Eltern und Großeltern beobachtet beim Rasenmähen, beim Rosenschneiden, beim Gemüseanbauen. Da lernt man das ganz selbstverständlich. Das ist ein riesiger Unterschied zu hier. Hier ist Garten erst einmal etwas total Fremdes.

Und was machen die Leute hier, wenn sie plötzlich doch einen Garten haben?

Ich habe viele Leute getroffen, denen die einfachsten Grundkenntnisse fehlen. Zum Beispiel was eine Staude ist. Dass das dauerhafte Pflanzen sind, die sich im Winter in den Boden zurückziehen und im nächsten Jahr wiederkommen. Oder Sie wissen den Zusammenhang zwischen Wurzel und Pflanze nicht. Also Fragen, die ich mir noch nicht einmal ausdenken könnte, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.

Was braucht es denn fürs Gärtnern? Einen Topf, eine Pflanze, Erde, Wasser und Licht?

Ja.

Und dann kommen die Probleme: Die Pflanze ist die falsche in der falschen Erde. Der Topf ist der falsche in der Sonne und das Wasser zu hart. Man kann alles falsch machen.

Man kann, aber es könnte doch auch klappen. Aus englischer Sicht ist Scheitern im Garten eine Chance. Man muss schon viel Schlimmes tun, um eine Pflanze umzubringen. Und wenn es wirklich nicht klappt, dann baut man was anderes an. Es kostet doch nicht viel. Klappt es aber, hat man so viel Freude daran.

Gibt es hier deshalb so oft Koniferen und Lebensbäume in den Gärten, weil der englische Gartenoptimismus fehlt?

Tatsächlich erlebe ich immer wieder, seit ich 2008 nach Deutschland kam, dass mir die Leute sagen: Das wächst bei uns nicht. Ein schönes englisches Staudenbeet – nein, das kommt hier nicht. Aber jetzt sehe ich, mein Staudenbeet kommt und sieht traumhaft aus. Es sieht besser aus als viele englische Staudenbeete, die ich kenne. Das hat auch mit dem Klima zu tun. Diese heiße intensive Sonne – die Pflanzen genießen das auch.

Sie haben an der Eliteschule der Gartenkultur, den Kew Gardens in London, studiert. Was macht das Studium dort so besonders?

Es ist ein irrsinnig hartes Studium. Man studiert und arbeitet gleichzeitig im Garten. Die heutigen Landschaftarchitekturstudenten müssen nur 150 Pflanzen kennen. Wir haben fast 10.000 gelernt. Natürlich vergisst man auch wieder Dinge. Es gibt Pflanzen, wo ich mich frage, was war das noch mal? So wie man manchmal mit Menschen zu tun hat, bei denen man denkt, wer war das noch. Aber die Pflanzenwelt ist sehr reich. Es gibt keinen Künstler, der so eine Palette an Materialien zum Spielen hat wie ich: die Farben, die Texturen, das Saisonale, die vierte Dimension.

Meinen Sie mit vierter Dimension, dass Sie als Gartenkünstlerin neben den Farben, Formen und dem Raum auch noch mit der Zeit gestalten?

Ja, man muss wissen, wann etwas wie blüht. Vor meinem Auge läuft das wie ein Film ab, die Farben, die Formen kombiniert mit Blühen und Vergehen.

Dieses Wissen und Können haben Sie in Kew perfektionieren können und bringen es nun nach Berlin.

Schön an der Königlichen Gartenakademie ist, dass an diesem Ort früher, als es noch die von Peter Joseph Lenné gegründete Königliche Gärtnerlehranstalt war, dasselbe Wissen vermittelt wurde, wie in Kew. Hier wie dort konnten und können nur gelernte Gärtner studieren. Und was da alles gelehrt wurde. Wetterkunde, Astrologie, botanisches Zeichnen, Bienenzucht, Physik, Ökologie, Baumchirurgie, Gartengestaltung und vieles mehr. Es wäre schön, wenn man dieses Wissen auch an der Gartenakademie wieder bieten könnte.

Das Gelände gehörte zuletzt zur Technischen Universität und lag mehr oder weniger brach.

Wir haben es 2005 zum ersten Mal gesehen. Da waren die Häuser schon in sehr schlechtem Zustand. Viel war kaputt. Es war noch ein älteres Ehepaar mit einer Zwiebelsammlung da und ein Wissenschaftsprojekt, das CO2 in Bäumen untersuchte. Trotzdem, wir haben uns sofort in das, was noch da war, verliebt.

Sie haben in England alles aufgegeben, um hier neu anzufangen. Obwohl Sie jetzt mit einem anderen Klima und einer ganz anderen Gartenmentalität konfrontiert sind. Warum?

Diese Herausforderung reizt mich. Eigentlich wollten wir so eine Akademie in England aufbauen, aber da gibt es schon so viele. In Deutschland dagegen fehlt ein Ort für Gartenkultur. Hier haben die Leute Hunger nach solcher Information.

Warum ist so viel Gartenwissen gerade in Deutschland verloren gegangen?

Ich glaube, der Krieg hat damit zu tun. Nach dem Krieg war in ganz Europa Aufbau angesagt. Die Wirtschaft musste wieder in Gang gebracht, genug Essen produziert werden. Erst Ende der 50er-Jahre hatten die Leute mehr Luft und man konnte darüber nachdenken, den Garten für Schönes zu nutzen und nicht nur zum Gemüseanbau. In Berlin war das dann jedoch die Zeit, wo die Mauer gebaut wurde. Aber generell haben sich die Deutschen sehr darauf konzentriert, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Dabei haben sie das, was gut für die Seele ist – das Ästhetische, das Schöne – vergessen.

Isabelle Van Groeningen, Gartenhistorikerin, -designerin und -beraterin, gründete 1992 mit Gabriella Pape das Büro Land Art Ltd. Beide gewannen hohe Gartenauszeichnungen in England. 2008 zogen sie nach Berlin und gründeten die Königliche Gartenakademie