Video reloaded

Fünf Museen machen Meilensteine aus vierzig Jahren Videokunst digital zugänglich. Zu sehen in Bremen in Begleitung einer Kunst-Zeitreise

Besonders revolutionär sieht er nicht aus. Ein alter Fernseher, der sich mit Holz-Imitation und Goldrand als gutbürgerliches Möbelstück tarnt. Der Lack ist mächtig abgeplatzt, und fernsehen kann man damit längst nicht mehr. Dieser Fernseher ist eine Reliquie. Als einziger ist es von den Protagonisten aus Nam June Paiks epochaler Ausstellung „Exposition of Music – Electronic Television“ übrig geblieben.

Als greifbarer Gegenpol zur Virtualität der Videokunst zeigt er das Dilemma, in dem Künstler ebenso wie Kuratoren hier stecken: Die Kunstgattung lässt sich kaum verkaufen, schwer konservieren, mühsam im Rückblick ausstellen. Ein frühes Videoband hatte – nonstop abgespielt – eine Lebensdauer von vier Wochen. Die Geräte, die die Bänder einst erzeugt und abgespielt haben, veralten gnadenlos. Meilensteine wie Paiks Video-Syntheziser, ein Mischpult für Farben und Formen, wurden von der Digitaltechnik längst zum Elektroschrott degradiert.

Historische Videos waren bisher entsprechend schwer zugänglich und vielfach in desolatem Zustand. Dagegen haben fünf Museen in seltener Eintracht und die Bundeskulturstiftung jetzt Abhilfe geschaffen: Gemeinsam haben sie eine DVD-Edition von 59 deutschen Filmen herausgebracht. Zeitgleich ist sie in der Bremer Kunsthalle, dem Düsseldorfer K21, dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, dem Münchner Lenbachhaus und dem Leipziger Museum der bildenden Kunst zu sehen. Die Bremer Präsentation kommt spröde daher: Vier Bildschirme, an denen man still und privat stöbern kann. Konzentration liegt in der Luft. Das Flair eines Kupferstich-Kabinetts im Multimedia-Zeitalter.

Jedes der Museen begleitet die Präsentation mit einer thematischen Ausstellung. Die Kunsthalle widmet sich der Videokunst der 60-er Jahre – und pflegt dabei reichlich Reliquienkult. Wie nahe kann man Paiks „Electronic Television“ heute noch kommen, dem Paukenschlag, mit dem die Karriere des neuen Mediums begann? Aufzeichnungen des Künstlers, Original-Einladungen, Fotografien von den Bildschirmen, auf denen Paik in Echtzeit das tagesaktuelle Fernsehprogramm veränderte – sie vermitteln mehr Lebensgefühl als Kunsterlebnis. Das Fernsehprogramm verwandelte Paik raffiniert mit elektronischen Manipulationen und brachial mit einem Magneten in bewegte graphische Abstraktionen. Stoisch-ironischer Höhepunkt: Der auf die Seite gestellte Fernseher, der gleichmütig eine – jetzt vertikale – weiße Linie zeigt, „Zen for TV“ genannt. Statt des Fernsehprogramms läuft in der Kunsthalle ein Video von einem Auftritt Paiks mit der Cellistin Charlotte Moorman. Durch elektrische Interferenzen verschmiert das Bild in abwärts fließende Schlangenlinien. Die geschwungene Form des Cello, der Körper, das Kleid der Musikerin und das elektrische Gewaber finden sich hier – schwupps – zu einer neuen Gegenständlichkeit zusammen.

Während Nam June Paik oder Wolf Vostell die Elektronik manipulierten, um Abstraktion zu erzeugen, konstruierte Karl Gerstner „Lunetten“, die man vor dem Bildschirm anbringen kann. Die Plexiglas-Vorsätze, nach aufwändiger Restauration in Bremen erstmals wieder zu sehen, zerlegen das Fernsehbild, verzerren es, tauchen es in psychedelische Farben. Talk-Belanglosigkeiten anno 2006 ertrinken in einem Strudel, den ein Spiralenrelief vor der Mattscheibe erzeugt. Ein Gitter aus Röhren gibt einer Reisedokumentation dagegen ganz neue Facetten: Es spaltet das Fernsehbild in statische und bewegte Teile. Die Bahn scheint auf Rollen zu laufen, der Wald balanciert in einem wackligen Gleichgewicht. Die Augen des Sprechers gleiten zu einem gespenstischen Schielen aus dem Bild. Hätte man einer biederen ZDF-Dokumentation ohne „Lunette“ so viel Aufmerksamkeit geschenkt?

Die Arbeiten zielen nicht nur gegen das Fernsehen, sondern sind zum Teil in Kooperation mit den Sendeanstalten entstanden. Ja, richtig gehört, es gab eine Zeit, als der WDR eine 23minütige Studioperformance mit aufgeblasenen Plastiktüten, Lichtblitzen und Porträtsplittern zeigte. Oder es im Nachtprogramm richtig gemütlich machte: Mit Jan Dibbets „TV as fireplace“, dem wärmenden Schauspiel eines prasselnden Kaminfeuers.

Annedore Beelte