Aufstand im Sultanspalast

In den Ruinen des Wasserpalasts in Jogjakarta auf der indonesischen Insel Java leben die zahlreichen Vasallen des Sultans. Nun will man den Palast mit Hilfe des World Monument Found (WMF) wieder aufbauen und die Bewohner umsiedeln

Der „Dollarsultan“ hat zwar fünf Kinder gezeugt, doch männlicher Nachwuchs ist nicht darunter

VON STEPHAN LISKOWSKY
UND DINAH MÜNCHOW

Das Naturell der Bewohner von Jogya ist alles andere als streitsüchtig. Hier werden Konflikte nach guter asiatischer Manier einfach weggelächelt. Auch der Rikschafahrer, der uns zum Palast, dem Kraton, radeln soll, wagt nicht zu widersprechen, als wir aus Versehen einen Dumpinglohn mit ihm aushandeln. Der kleine, zarte Indonesier kutschiert uns für umgerechnet 1 Euro in den inneren Machtbereich des Sultans, der von dicken, weiß getünchten Mauern umgeben ist.

Das Palastgelände, der Kraton, ist eine Stadt in der Stadt – mit vielen kleinen Wohnhäusern, prachtvollen Gebäuden und Läden. Durch die schmalen Gassen flitzen hunderte Mofas, die Kleinwagen Indonesiens, auf denen ganze Familien und zur Not auch noch entfernte Tanten Platz finden. Trottoirs gibt es keine. Fußgänger müssen auf ihre Habseligkeiten Acht geben – im Straßengetümmel sind sie Freiwild. Im Gegensatz zu den wohl behüteten Elefanten des Sultans, die aus geräumigen Ställen auf die schmale Straße schauen, die zum Wasserpalast führt.

Es kostet einige Fantasie, in den grün verwitterten Ruinen den einstigen Glanz von Taman Sari zu entdecken. Mitte des 18. Jahrhunderts ließ sich der damalige Sultan auf zehn Hektar sein ganz persönliches Spaßbad errichten. Ein eigens für die Konstruktion der Anlage eingeschiffter portugiesischer Architekt legte kühle Innenhöfe, kunstvoll verzierte Springbrunnen und riesige Schwimmbecken an. Ein Netz unterirdischer Gänge verband den Wasserpalast mit dem Hauptpalast.

Im Belagerungsfall sollte der Sultan durch diese unbemerkt fliehen können. Anschließend hätten die Tunnel geflutet werden können, um ein Eindringen der Feinde in den Kraton zu verhindern. Doch schon kurz nach der Erbauung zerstörte ein schweres Erdbeben die Anlage. Das ausgeklügelte Sicherheitssystem konnte somit kein Leben retten. Im Gegenteil. In Jogja geht die Sage, dass der portugiesische Architekt nach Abschluss der Arbeiten hingerichtet wurde. Die Geheimnisse der verborgenen Katakomben nahm er mit ins Grab.

Ein kleiner Teil des Taman Sari-Wasserpalastes, der Jungbrunnen Umbul Binangun, ist bereits restauriert. Die Kosten dafür trug die portugiesische Regierung. Im Vergleich zu den grün übermoosten Gebäuderesten ist der restaurierte Teil mit Flüssigbeton zugekleistert und erstrahlt in sterilem Zahnarztweiß.

Doch unserem Fremdenführer Bakdi scheinen die Renovierungsarbeiten nicht zu stören. Er klettert vor uns auf einen Turm, von dessen Fenster der Sultan einst Frauenschau gehalten haben soll. Aus den sich im Wasser räkelnden Nymphen wählte er sich von seinem Beobachtungsturm eine Gespielin aus. Die Auserwählte wurde anschließend in ein benachbartes Becken entführt und reichlich belohnt.

Während er uns die Geschichte erzählt, bekommt Bakdi leuchtende Augen. Er ist sichtlich stolz auf die Legenden um die Sultansfamilie. Der leicht beleibte Mann ist kein gewöhnlicher Fremdenführer. Er gehört zu einer der über 2.000 Dienerfamilien, die seit Generationen auf dem Palastgelände leben. In windschiefen Hütten und ziegelgedeckten Häusern haben sie sich zwischen den verfallenen Gemäuern des Wasserpalasts eingerichtet. Als nach einem Erdbeben ihre Hütten vor dem Palast zerstört waren, zogen sie in das direkte Einflussgebiet des Sultans.

Heute fertigen sie auf dem Gelände Batiken an und verkaufen sie an Touristen. Von diesem Gewerbe und der Gnade des Sultans leben sie. Weil sie ihm und der königlichen Familie noch immer den Haushalt besorgen, haben sie Bleiberecht in Taman Sari. Bakdi selbst entstammt der Kaste der Toilettenputzer. Deshalb geht sein Vater, eigentlich Lehrer, jeden Morgen vor dem Dienst – traditionell mit einem bunten Sarong bekleidet – in den Palast. Dabei geht es ihm nicht in erster Linie um die mietfreie Unterkunft. Seine Aufgabe verstehen er und seine Familie als eine besondere Ehre.

Doch ab nächstem Jahr soll Schluss sein mit der symbiotischen Eintracht. Der Sultan will seine Vasallen aus dem Wasserpalast werfen lassen, um ihn mit Mitteln der World Monument Found (WMF) vollständig zu restaurieren. Die Organisation hat Taman Sari 2004 auf die Liste der hundert am stärksten gefährdeten Kulturdenkmäler gesetzt. Für den Palastbau ist das möglicherweise die Rettung vor dem Totalverfall, für des Sultans Untertanen ist der Beschluss eine Katastrophe.

Kommt die Sprache auf dieses Thema, verfinstert sich Bakdis Miene. Absolute Loyalität gegenüber der Herrscherfamilie ist hier Tradition. Doch in diesem Punkt vergisst Bakdi einmal seine Herkunft und wagt Kritik am Sultan, für seine Verhältnisse nahezu schamlose Kritik: Der Herrscher habe zwar ein paar neue Wohnblöcke für seine treuen Diener vor den Stadtmauern errichten lassen, aber in diesen engen Silos sei kein Leben möglich.

Wie zur Bestätigung gackert hinter ihm ein großer Truthahn los, nachdem er seinen Kopf frech durch den Lattenzaun geschoben hat. Es ist tatsächlich schwer vorstellbar, wie die derzeitigen Bewohner des Wasserpalasts mit Sack und Pack, Hühnern und Truthähnen in enge Stadtwohnungen ziehen sollen. Das gesamte soziale Leben spielt sich hier auf ihren kleinen Höfen unter freiem Himmel ab. Zwischen den morbiden Mauerresten hat eine Frau ihre Wäscheleine gespannt. Ein paar Rotznasen klettern in waghalsigen Manövern auf die Ruine des Hauptgebäudes von Taman Sari. Oben angekommen, werfen sie eine Taube in die Luft, die sie auf dem nahe gelegenen Vogelmarkt bekommen haben.

Den Bewohnern des Kraton geht es nicht allein um die höhere Lebensqualität innerhalb der Mauern des Wasserpalasts. Wichtiger sind die Einnahmen aus den Batikverkäufen, von denen sie einen Großteil ihres Lebensunterhalts bestreiten. Nie und nimmer, lacht Bakdi resigniert, würde sich ein Tourist zu den neuen Wohnblöcken verirren, um seine quadratmetergroßen Batiken zu kaufen. In seinem Atelier zeigt er uns seine Werke. Dort tanzen auf seidenen Stoffbahnen üppige Frauen.

Trotz aller Loyalität gegenüber dem Sultan ist der Mann aus der Dynastie der Toilettenputzer nicht bereit, sich in sein drohendes Schicksal zu fügen. Hinter dem Rücken seiner Majestät hat er als Sprecher der Palastdiener einen Beschwerdebrief an den WMF geschickt. Darin machen die Bewohner des Taman Sari auf ihre prekäre Lage aufmerksam. Noch sind die Umzugspläne nicht vom Tisch, aber die Organisation bemüht sich um Konsens.

Eine Einigung mit dem Sultan sieht Bakdi als weniger wahrscheinlich an. Hamengku Buwono X. gilt anders als sein Vater als Pragmatiker, der wirtschaftliche Kriterien in den Vordergrund stellt. Der „Dollarsultan“, wie er manchmal abfällig genannt wird, hat zwar fünf Kinder gezeugt, doch männlicher Nachwuchs ist nicht darunter. Und ohne Thronfolger, so hofft Bakdi, könnten die Bewohner von Jogja mehr Mitbestimmungsrechte erhalten. Doch der Sultan hat kurzerhand die Erbfolge geändert, seine älteste Tochter ist in froher Erwartung. Sollte sie einen Sohn gebären, würde er der nächste Sultan werden.

Zum Abschied erklärt uns Bakdi, den Dienern bleibe nun nur noch das Beten. Dafür, dass es ein Mädchen werde und dass der Sultan ein Einsehen hat.