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: Recken im Strafraum

Wo steht er, der deutsche Defensive? Auf jeden Fall hinten – und manchmal gar nichtso schlecht

Wie oft muss die beiden Männer im blau-weißen Trikot dieser Blick vom anderen Kontinent getroffen haben – stets aufmerksam, ein wenig neidisch gewiss, aber immer anerkennend. Atouba, der Hamburger Linksverteidiger aus Nigeria, dessen Defensiv-Akrobatik in der Bundesliga ohne Beispiel ist, und Bhoularusz, der Holländer, dem der Ruf vorauseilt, seine Gegenspieler zur Not aufzufressen – ein Defensiv-Verbund mit internationaler Klasse, und immer, wenn Jürgen Klinsmann die beiden sieht, dann erkennt er auch, was er nicht hat, dann ballt sich die linke Faust womöglich in der Tasche, während die rechte Hand, fuchtelnd nach dem Einbürgerungsantrag, ins Leere greift.

Noch ist die Erinnerung ungetrübt an diesen Abend in Dortmund, der Anlass zu allem, ja sogar zu zarten Hoffnungen auf das Erreichen der Finalrunde gab, weil Deutschland die USA 4:1 bezwungen hatte. Doch zumindest eines lässt sich nach dem Spiel mit Sicherheit sagen: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Stürmer auf dem Tisch. Kaum ist Robert Huth mal nicht dabei, läuft wenig in der deutschen Defensive. Der Abwehrschrat vom FC Chelsea, den glückliche Umstände in die Mannschaft Mourinhous spülten, fehlte in Dortmund, und schnell tauchte die Frage wie eine Drohung auf, was geschehen wäre, hätte er auf dem Platz gestanden. Man ahnt es. Hier und jetzt soll die Frage erörtert werden, wo Deutschlands Abwehrspieler wirklich stehen.

Das Stellungsspiel von Lahm, Mertesacker und Co. reflektiert die Sicherheit eines Oliver Kahn beim weiten Herauslaufen, und die Fahndung nach der Ursache führt zwangsläufig zu einer überraschenden Erkenntnis: Deutschlands Abwehrspieler sind im Grunde besser als ihr Ruf, jeder Einzelne ist für sich genommen gar keine schlechte Nummer, doch im Nationalteam potenziert sich die Schwäche zu einer allgemeinen Verunsicherung. Zum Beispiel Friedrich. Der war lange Zeit einer der wenigen Fixpunkte im Spiel von Hertha BSC, im DFB-Team aber ein einziges Leck. Zum Beispiel Mertesacker: Bei Hannover 96 von internationalen Herausforderungen verschont, prinzipiell durchaus solide, doch vor allem in Italien ein Blindgänger. Beispiel Lahm: Brachte nach seiner Verletzungspause Belebung auf dem Flügel ins Spiel der Bayern, wirkte im Adler-Trikot aber nicht optimal eingestellt. Bliebe noch Huth, der beim Italien-Debakel die beste Figur abgab und diesen Eindruck wegen seines Einsatzes für Chelsea unter der Woche nicht revidieren konnte.

Es ist sonderbar. Fußball-Deutschland hat alte Traditionen fahren lassen. Standen früher solide Trikot-Zerrer wie Förster und Kohler auf dem Platz, die im Dortmunder Wörns ihren legitimen Nachfolger fanden, so sind solche Textil-Prüfer kaum noch zu finden, weil die Entwicklung des Fußballs sie hinweggespült hat wie die Zeitläufe die Dinosaurier. Manche argwöhnen, dass Deutschlands Defensive ein Problem hat, weil die antiquierte Mannheimer Schule ausgedient hat (aus ihr kamen etwa Stielike, Förster und Kohler), der deutsche Fußball aber die nächste Evolutionsstufe noch nicht vollzogen hat: Der spielende Verteidiger, der einer schnellen Spieleröffnung gewachsen ist und dessen Antizipationsvermögen es ihm gestattet, nicht nur Tuchfühlung zum Gegenspieler zu halten.

Mertesacker, Metzelder, Lahm und Friedrich sind im Grunde keine verkehrten Exponenten, vielleicht fehlt ihnen in der Nationalelf einfach nur die strikte Marschroute und das Gefühl, endlich zu wissen, wer hinter ihnen im Tor die Bälle fängt. Wo steht er also, der deutsche Abwehrspieler? Im Grunde gar nicht so schlecht. Aber manchmal einfach nur am falschen Platz. STEFAN OSTERHAUS