AHMAD SADIDDIN ÜBER EINE MÖGLICHE INTERVENTION DES WESTENS IN SYRIEN
: Bitte keinen Zwei-Tage-Krieg

Je länger man wartet, desto schwieriger wird es, diese Entwicklung zu stoppen

Eins vorweg: Falls die westlichen Länder sich zu einer militärischen Intervention in Syrien entschließen, so tun sie das, um ihre Interessen zu schützen, nicht die der Syrer.

Das bedeutet: Sie werden tun und lassen, was sie für richtig halten, und zwar ganz ohne Rücksicht darauf, welche Folgen das für die syrische Bevölkerung haben wird. Unsere Sicht und unsere Bedürfnisse zählen nicht, deswegen wurde bislang auch nicht interveniert, und das trotz all der Verbrechen, die das Regime in den letzten zweieinhalb Jahren begangen hat.

Aber jetzt scheint der Westen ernsthaft schmerzhafte Angriffe gegen die Regierungstruppen zu erwägen. Und das dürften die Gründe dafür sein: Die Zerstörung in Syrien ist massiv, das Land fällt auseinander (was gut ist für Israel) und das bedeutet, dass egal welche Regierung auf Assad folgen wird, sie wird schwach genug sein, um die geopolitischen Forderungen des Westens zu akzeptieren (wiederum gut für Israel). Die Tatsache, dass das syrische Regime die Besetzung der Golanhöhen seit 1973 geduldet hat, auch wenn offizielle Friedensverhandlungen mit Israel bisher nie auf der Agenda standen, macht das Thema radikale Veränderung in Damaskus natürlich äußerst heikel.

Die syrischen Muslimbrüder werden die Fehler ihrer ägyptischen Nachbarn nicht wiederholen und nicht zu schnell nach der Macht greifen. Eine Gefahr durch den Islamismus und eine panarabische Bewegung besteht im Moment eher nicht.

Das Wichtigste aber ist: Es wird immer wahrscheinlicher, dass sich die Krise auf die Nachbarländer ausweitet. Je länger man wartet, desto schwieriger wird es, diese Entwicklung zu stoppen.

Ich denke, all das sind Indikatoren dafür, dass aus westlicher Sicht die Zeit für eine militärische Intervention gekommen ist. Wie massiv man einzugreifen gedenkt, ist dabei noch offen. Die Mehrheit der Syrer, mich eingeschlossen, wollen eine Intervention, die endgültig Schluss macht mit Assads Regime. Auch wenn es noch sehr unwahrscheinlich scheint: Das wäre der einzige gangbare Weg hin zu einem möglichen Frieden. Natürlich bedeutet das Ende des Regimes nicht automatisch das sofortige Ende aller Gewalt. Dagegen spricht allein die umtriebige Präsenz von al-Qaida und anderen Gruppen im Land. Aber es wäre ein Fortschritt, wenn wenigstens die Gefahr von Luftschlägen, von Raketenbeschuss, von Kanonenbeschuss gebannt werden könnte. Luftschläge seitens der Regierungstruppen könnten mit einer militärischen Intervention des Westens schnell unterbunden werden.

Und das würde dazu beitragen, die humanitäre Hilfe im Land rasch wiederherzustellen und die Menschen in Not auf schnellstmöglichem Weg zu erreichen. Dass dieser Wunsch bald erfüllt wird, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Denkbarer und wahrscheinlicher wäre eine Intervention, die das Regime dazu zwingt, zurückzutreten und eine Übergangsphase gemäß der Genfer Konferenz zu akzeptieren.

Aber, wie oben bereits angedeutet, glaubt hier niemand, dass dem Westen wirklich daran liegt, das Regime von Assad schnell zu Fall zu bringen. Es geht eher darum, den Spielraum für Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und sich mehrere Optionen offenzuhalten. Natürlich hängt der Erfolg jedweder Interaktion stark von der Reaktion Russlands ab.

Allerdings könnte es gut sein, dass die Intervention nur als Bestrafung gedacht ist, um eine „starke Botschaft“ an das Regime zu senden, dass es keine Chemiewaffen mehr einsetzen dürfe. Das wäre wirklich die schlimmste aller Optionen. Denn das würde bedeuten, dass der Krieg in Syrien noch lange dauern wird.

Aus dem Englischen von Ines Kappert.

Der Autor ist Agrarwissenschaftler und tritt demnächst eine Assistentenstelle an der Universität Florenz an. Zuvor arbeitete er am Nationalen Agrarwissenschaftlichen Zentrum in Damaskus. Zwischen 2000 und 2006 war er in der „traditionellen Opposition“ tätig, verließ dann aber das Land, um in Italien seine Studien fortzusetzen.

Im Jahr 2010 kehrte er nach Syrien zurück. Als die Aufstände begannen, wurde er zum Militärdienst eingezogen (den er bislang aufgrund seines Studiums hinausschieben konnte). Sadiddin desertierte und flüchtete in die Türkei, bis er das Visum für Italien erhielt.

Über Facebook hat die taz syrische Oppositionelle um ihre Einschätzung gebeten.