I Have a Missile

SYRIEN Mit einem angeblich zweitägigen Militärschlag wollen die USA und Großbritannien Präsident Assad für den Giftgasangriff auf die syrische Bevölkerung bestrafen ➤ Seite 2, 3, 12 ➤ Reportage zum Martin Luther King Day Seite 5

In Deutschland lehnt einer Umfrage zufolge eine große Mehrheit einen Militärschlag gegen Syrien ab

BERLIN taz | US-Präsident Barack Obama plant offenbar einen kurzen Krieg gegen Syrien – als Strafe für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz und um das Leben amerikanischer Soldaten zu schonen. Eine strategische Option scheint mit dem mutmaßlich binnen Tagen geplanten Angriff nicht verbunden zu sein. Eine Entscheidung ist laut Medienberichten noch nicht gefallen.

Zugleich hat die Regierung angekündigt, in Kürze Beweise vorzulegen, dass das Regime in Damaskus hinter dem vermuteten Einsatz von chemischen Waffen in der vergangenen Woche steckt. Entsprechende Beweise hatte Außenminister John Kerry bereits angekündigt.

Einem Bericht der Washington Post zufolge soll der „begrenzte“ Angriff nicht länger als zwei Tage dauern. Dabei sollen von Kriegsschiffen im Mittelmeer Marschflugkörper und möglicherweise Langstreckenraketen gegen militärische Ziele eingesetzt werden, die nicht direkt mit dem syrischen Chemiewaffenarsenal zu tun haben. Hinter dieser Einschränkung dürfte die Befürchtung stehen, durch eine Bombardierung solcher Anlagen eine Freisetzung von Giftgas auszulösen.

Der Zeitpunkt für einen Angriff hängt laut dem Artikel von drei Faktoren ab: der Fertigstellung eines Geheimdienstberichts, dass die syrische Regierung für den Giftgasangriff verantwortlich ist; den Beratungen mit den Verbündeten und dem Kongress sowie der Klärung der Frage, wie man einen Angriff mit dem Völkerrecht in Einklang bringen könnte. Obwohl die Prüfung des Giftgases also noch andauert, preschte Kerry vor. Am Montag erklärte er, es gebe „unwiderlegbare“ Beweise für einen groß angelegten tödlichen Chemiewaffeneinsatz, hinter dem aller Wahrscheinlichkeit nach die syrische Armee stehe. Die US-Regierung werde die syrische Regierung für die „moralische Obszönität“ verantwortlich machen.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel sagte am Dienstagnachmittag gegenüber der britischen BBC, die Soldaten warteten nur noch auf den Einsatzbefehl von Obama und könnten „jede Option“ auch erfüllen. Die USA haben vier Zerstörer im östlichen Mittelmeer in Raketenreichweite zu Syrien stationiert und unter anderem auch US-Kampfflugzeuge in der Region.Die syrische Regierung kündigte indes an, sie werde sich im Angriffsfall „verteidigen“. Es sei „keine Kleinigkeit“, es mit Syrien aufzunehmen.

Neben den USA treibt auch Großbritannien seine Kriegspläne voran. Nach Angaben eines Sprechers von Premierminister David Cameron wolle dieser das Parlament am Donnerstag über eine mögliche Militärintervention entscheiden lassen. Cameron hatte am Montag seinen Urlaub abgebrochen. Neben den USA ist auch Großbritannien militärisch in der Mittelmeerregion präsent.

Die Arabische Liga machte am Dienstag die syrische Regierung für den mutmaßlichen Giftgasangriff nahe Damaskus mit Hunderten Toten verantwortlich. Die Führung in Damaskus trage die „volle Verantwortung“ für den Angriff vom 21. August, hieß es in einer Erklärung des Staatenbundes nach einer Sondersitzung am Dienstag in Kairo. Die Verantwortlichen seien „Kriegsverbrecher“ und müssten vor ein internationales Gericht gestellt werden.

Seitens der Opposition warnte der ehemalige Vorsitzende des Syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun, ein Militärschlag, der nicht die Entmachtung Assads zum Ziel habe, könne die Lage noch weiter komplizieren. „Denn ein begrenzter Militärschlag würde Assad einen Vorwand liefern, um noch mehr Rache am syrischen Volk zu nehmen“, hieß es in einer Erklärung Ghaliuns, die am Dienstag von syrischen Webseiten veröffentlicht wurde.

Die russische Regierung bedauerte am Dienstag, dass die USA ein für Mittwoch geplantes Treffen im niederländischen Den Haag abgesagt hatten. Dabei sollte es um die seit Monaten geplante internationale Friedenskonferenz zu Syrien gehen. Außenminister Sergei Lawrow sagte auf einer Pressekonferenz in Moskau, was derzeit geschehe, widerspreche den Vereinbarungen des G-8-Treffens von Lough Erne. In einer schriftlichen Erklärung des Gipfels hätten sich die Teilnehmer darauf verpflichtet, Berichte über Chemiewaffeneinsätze in Syrien zu prüfen und die Ergebnisse dem UN-Sicherheitsrat vorzulegen.

Nun stiegen einige G-8-Teilnehmer aus dieser Vereinbarung aus und übernähmen die Rolle von Ermittlern, ja sogar des Sicherheitsrats. Am 5. und 6. September findet in St. Petersburg der G-20-Gipfel statt. Obama hat angekündigt, zuvor Russland zu besuchen.

In Deutschland lehnt einer Umfrage zufolge eine große Mehrheit einen Militärschlag gegen Syrien ab. In einer am Dienstag veröffentlichten Erhebung für den Stern sprachen sich 69 Prozent der Befragten dagegen aus, dass der Westen jetzt militärisch in Syrien interveniert. Nur 23 Prozent befürworteten ein entsprechendes Eingreifen.

8 Prozent äußerten in der Umfrage keine Meinung. Von denjenigen, die ein Eingreifen des Westens in Syrien befürworten, sagten 66 Prozent, dass sich auch Deutschland an einem derartigen Einsatz beteiligen sollte. 28 Prozent von ihnen lehnte dies ab. Das Institut Forsa hatte am Montag 502 zufällig ausgewählte Bundesbürger befragt.

Die Angst vor einem Angriff auf Syrien schlägt sich auch im internationalen Aktienhandel nieder. Asiatische und europäische Aktienbörsen rutschten am Dienstag deutlich ins Minus, weil Investoren sich vor den wirtschaftlichen Folgen eines eventuellen Angriffs zurückzogen. Auch an der Wall Street zeichnete sich ein schwacher Handelsstart ab. „Die Äußerungen der USA sind mehr als eindeutig, an den Märkten stellt man sich jetzt auf das Schlimmste ein“, sagte ein Händler. Unter Verkaufsdruck gerieten zudem zahlreiche Währungen, vor allem aus Schwellenländern. Öl und Gold verteuerten sich dagegen. B.S.