Klassentreffen unter Nerds

PRINT „Retrotrend“ heißt ein neues Magazin, das sich mit alten Dingen beschäftigt – und kaum überrascht

Bei Jürgen Lossau waren es Kameras. 200 Stück kaufte er sich früher – pro Jahr. Nicht weil er sie brauchte, er fand sie einfach nur schön. Heute sei er geheilt, Kameras kauft er sich nur noch selten. Die alten Dinge haben ihn aber trotzdem nicht losgelassen, denn Lossau ist Chefredakteur und Herausgeber von Retrotrend, einem „Magazin für Klassiker“, das sich ausschließlich um die schönen Dinge von früher dreht. Im März erschien die erste Ausgabe, darin geht es um Polaroid-Fotografie und alte BMWs, in der Titelgeschichte erzählen Menschen um die 30, wieso sie Musikkassetten lieben.

Keine Sensationen also, keine Neuheiten, schließlich kennt man die meisten Dinge in Retrotrend schon seit 20 oder 30 Jahren. Stattdessen gibt es aber Emotionen und ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten, und das ist selten auf dem überlaufenen Zeitschriftenmarkt. Beim Durchblättern setzt schnell ein Klassentreffeneffekt ein, weil man sich daran erinnert, dass man auch immer Mixtapes für das Mädchen aus dem Nachbardorf gemacht hat. „Heute geht alles so schnell“, sagt Lossau, „Retrotrend setzt deshalb auf alte Zeiten und Schönes von früher“. Ein Wohlfühlmagazin? „Auf jeden Fall.“

Gleichzeitig aber auch ein wenig spießig. Um dem entgegenzuwirken, hat Retrotrend ein extrem schickes Design bekommen. Und wenn Indie-Musiker, Grafiker und Fotografen von ihren Musikkassettensammlungen erzählen, hat das auf einmal einen nerdigen Charme. Ganzseitige Bilder, große Fotostrecken und viel Platz machen Retrotrend vor allem zu einem Magazin zum Blättern. Weil sich aber fast alles nur um Gegenstände dreht, hat man manchmal auch das Gefühl, einen Manufactum-Katalog für Hippster ab Mitte dreißig in der Hand zu halten, ganz besonders bei der Rubrik „Radar“, in der ganz kurz Produkte vorgestellt werden.

Das größte Problem von Retrotrend ist aber die Beliebigkeit, die Themen sind zu bunt, oft wirken sie wahllos zusammengewürfelt. Nach einer Fotostrecke aus den 50ern geht es weiter mit Doppeldeckerbussen in London und japanischen Plastikradios. Der einzige Zusammenhalt ist die Vergangenheit, das macht die Themen aber nicht unbedingt auch interessant. Denn wer als Kind schon nichts mit Autos anfangen konnte, dem ist eine Story über einen alten BMW auch heute noch egal. Richtig gut wird Retrotrend dagegen dann, wenn es persönlich wird, wenn Artikel entweder ganz nah herankommen, wie bei einer Geschichte über selbstgebaute Lokomotiven, oder wenn die Autoren von sich selbst erzählen, etwa wie es ist, das alte Kinderzimmer auszuräumen. Das hat Retrotrend auch Leser gebracht, die nicht der Zielgruppe entsprechen: Frauen. „Eigentlich machen wir ein Magazin für Männer“, sagt Lossau, „aber ich glaube, den Frauen gefällt unser persönlicher Ansatz.“

CHRISTOPH GURK