Adrette Spiegelungen

WERKSCHAU Eine Neigung zum Rätselhaften – das Kino Arsenal zeigt die Arbeit des portugiesischen Filmemachers und DAAD-Stipendiaten Sandro Aguilar

Manchmal eine Wiederverzauberung der Welt mit den Mitteln des Kinos

Einer der eindrücklichsten Momente reiner Kinoschönheit der letzten Jahre findet sich in „Gebo and the Shadow“, dem bislang letzten Film des portugiesischen Altmeisters Manoel de Oliveira: Da dringen ganz am Ende, in der Schlussszene, plötzlich warm leuchtende Sonnenstrahlen in ein enges, kleines Wohnzimmer, das vorher fast über die gesamte Laufzeit des klaustrophobischen Kammerspiels nur von einer jämmerlichen Öllampe beleuchtet worden war. In einer Geste der kinematografischen Gnade gibt de Oliveira seinen vom eigenen Gewissen und einem allzu langen Leben gezeichneten Protagonisten Licht.

Produziert wurde dieses kleine Wunder von einem Film von Sandro Aguilar, einem umtriebigen, aber in Deutschland weitgehend unbekannten Filmemacher. Auch andere seiner Arbeiten als Produzent haben in den letzten Jahren einige Bekanntheit erlangt – allen voran Miguel Gomes’ Film „Tabu“, der 2012 auf der Berlinale gefeiert wurde.

Die Filme, die Aguilar selbst inszeniert hat, sind dagegen bislang nur Spezialisten bekannt. Das Arsenal zeigt nun eine kleine Werkschau des portugiesischen Filmemachers, der derzeit Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD ist: seinen bislang einzigen, im Jahr 2008 entstandenen Langfilm „A Zona“ und eine Auswahl seiner Kurzfilme.

Von de Oliveira’schen Gnadenmomenten ist Aguilars Kino recht weit entfernt. Seine abstrakten Spielfilme konstruieren mysteriöse bis völlig opake Situationen, in denen es meist um sexuelle Spannungen geht, die jedoch schon über die audiovisuelle Oberfläche weitgehend unlesbar gemacht werden: Die oft wunderschön, fast durchweg noch auf 35-mm-Filmmaterial fotografierten Bilder werden von kalt glänzenden Grün- und Blautönen dominiert, die Kamera ist stets entweder extrem nah an ihrem Gegenstand, sodass zum Beispiel von einem Gesicht nur ein paar Bartstoppel auf einer Wange bleiben – oder sie wählt eine Perspektive, aus der man den Gegenstand, so es denn einen einzigen, stabilen Gegenstand überhaupt gibt, kaum erahnen kann, weil er in Unschärfe, hinter Spiegelungen, im undifferenzierten Schatten verschwindet.

Dialoge in den Filmen gibt es kaum, dafür ist das Sounddesign aufwändig (bis aufdringlich), verbindet Natur- und Straßengeräusche mit Gesprächsfetzen und gelegentlichen elektronischen Einsprengseln zu einem dichten und doch erstaunlich variationsreichen Teppich, der sich über die Bilder legt wie eine weitere Versiegelung.

In ihren besten Momenten sind die Filme Ausdruck einer äußerst idiosynkratischen Wiederverzauberung der Welt mit den Mitteln des Kinos. In „A Zona“, seinem ambitioniertesten Werk, geht es um einen Mann und eine Frau, die sich zufällig in einem Krankenhaus begegnen, das vor Aguilars Kamera seine funktionale Alltäglichkeit einbüßt und in dem es den Protagonisten schließlich gelingt, aus den vorgezeichneten Familiennarrativen – er verliert seinen Vater, sie bekommt ein Kind – auszubrechen.

In allen Filmen Aguilars bleibt unklar, was genau jenseits jener bürgerlichen Selbstverständlichkeiten von Repräsentation und Narrativität liegen könnte, an denen der Regisseur offensichtlich kein Interesse hat. In „A Zona“ deutet sich eine nicht unproblematische, biologistische Fluchtlinie an: Auf ihre Tränen antwortet sein Nasenbluten – und am Ende wandert das Blut wieder zwischen ihre Beine.

Schritte der Abstraktion

Im Kurzfilmprogramm kann man nachvollziehen, wie Aguilars zunächst noch recht narrativ angelegte filmische Ästhetik Schritt für Schritt abstrakter, reduzierter und unkommunikativer wird. Im Frühwerk „Sem movimento“ (2000) geht es um vier junge Menschen, die an einem Wettbewerb teilnehmen, dessen Prämissen am Anfang erklärt werden: Sie sitzen gemeinsam in einem Auto, das sich in einer Art Einkaufszentrum befindet und sich langsam um die eigene Achse dreht, wer es am längsten dort aushält, wird gewinnen. Die Konkurrenzsituation wird mit jeder Umdrehung unwichtiger, rückt in den Hintergrund zugunsten einer gemeinsamen Erfahrung der Entschleunigung.

Im zehn Jahre später entstandenen „Mercurio“ geht es wieder um Menschen im Auto, in diesem Fall um ein Liebespaar, das eingeschlossen in einen Kleinwagen wohl eine Beziehungskrise ausagiert. Die Gespräche blendet Aguilar aus, er interessiert sich weit mehr für die adretten weißlichen Spiegelungen, die sich auf der Windschutzscheibe über die Gesichter legen. LUKAS FOERSTER

■ Sandro Aguilar im Arsenal: Kurzfilmprogramm heute, „A Zona“ am Freitag, jeweils 20 Uhr und mit dem Regisseur zu Gast