Butterkuchen statt Geigenschrott

In Korea haben sie zu Ehren von Nam June Paik Geigen zertrümmert. Hunderte von Menschen hoben synchron eine Geige vors Gesicht. Ein Moment feierlicher Stille, dann droschen alle gleichzeitig ihre Instrumente auf die Brüstung vor sich. „What a sound“, kommentierte Ken Paik Hakuta, Neffe und Nachlassverwalter des im Januar verstorbenen Fluxus-Künstlers, feixend.

Bei der Hommage für den Verstorbenen in der Bremer Kunsthalle, die kühn den Anspruch erhob, nach den Totenfeiern in New York und Seoul Vergleichbares auf dem europäischen Kontinent auf die Beine zu stellen, ging nicht mal ein Ei zu Bruch. Nam June Paik hatte in seinen Pionierarbeiten der Videokunst – seine raffiniert manipulierten Fernseher, die gerade in Bremen zu sehen sind, gelten als Geburt dieser Gattung – konsequent auf Interaktion gesetzt. Der Betrachter kann sich vor Kameras in Szene setzen, mit einem Fußschalter oder einem Magneten das Fernsehbild manipulieren.

„Fernsehen ist eine Einbahnstraße, Video eine Zweibahnstraße“, sagte Paik. „Nicht nur der Führer spricht zum Volk, sondern das Volk spricht auch.“ Die Bremer Feier hingegen setzte auf biederes Frontalprogramm. Im düsteren Vortragssaal der Kunsthalle plauderten wenige Künstlerfreunde und zahlreiche Kuratoren aus dem Nähkästchen – und sonnten sich in Paiks Glanz. Nonchalant tauchten auf der Leinwand im Hintergrund gemeinsame Jugendbilder von Paik und Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath auf. Die wiederentdeckten Kurzfilme lassen klarer sehen, wer Nam June Paik war. In den 60er Jahren ein ernsthafter, junger Mann im feinen Anzug. Der, verrät die Künstlerin Mary Bauermeister, war meistens bekleckert, weil Paik ständig mit irgendetwas um sich warf, seien es Eier, Mehl oder Reis. „Viele Aktionen wirken heute wie Klamauk, waren aber tief philosophisch.“ Adornos Forderung nach dem Wahren statt des Schönen wollte Paik entsprechen, indem er Augen und Ohren wehtat. Ein Video von Wolfgang Ramsbott zeigt den Künstler atemberaubend konzentriert, fokussiert auf Lippen, Zunge, Auge: Lecken, Laute andeuten, Zwinkern, minimale, mechanisch-sinnliche Bewegungen.

Später inszenierte Paik, ab 1979 Kunstprofessor in Düsseldorf, seinen leicht durchgeknallten Mythos: in einer kruden Mischung von Deutsch und Englisch philosophierend, einem lachenden Buddha ähnlich, rundlich und halslos in seinen Hosenträgern, an denen er die Uhr vor dem Bauch festpinnte. Zum Schluss gabs dann doch noch ein kleines Trauerritual zu Ehren des Gelegenheits-Deutschen: Butterkuchen für alle.

Annedore Beelte

Die Ausstellung „Videokunst der 60er Jahre in Deutschland“ in der Bremer Kunsthalle zeigt bis zum 21.5. Werke von Nam June Paik, Wolf Vostell, Joseph Beuys und anderen