Durchsagen auf der Durchfahrt

Begrüßungen zwischen merkwürdigen Menschen in Universität und Plattenbau

„Willkommen in der Universitätsstadt Halle“, tönt es aus den Lautsprechern am Bahnsteig, als sich die Türen des IC Leipzig–Oldenburg (Oldb.) öffnen, ganz so, als müsse man sich für irgendetwas rechtfertigen: „Willkommen in Halle. Hier laufen zwar überall merkwürdige Leute herum, viele sind schon mittags betrunken, und es herrscht eine latent aggressive Stimmung, lassen Sie sich aber von pöbelnden Jugendlichen und behelmten Polizisten nicht beirren, denn wir haben ja die Universität.“

Die niedersächsische Kleinstadt Celle hatte vor knapp 300 Jahren die Wahl zwischen einer Universität und einem Zuchthaus. Die Bürger entschieden sich „zum Schutze ihrer Töchter vor den Studenten“ (www.jva-celle.de) für letztere Institution. Die Einrichtung existiert unter der heute üblichen Bezeichnung „Justizvollzugsanstalt“ immer noch; heißt es aber deshalb am Bahnhof: „Willkommen in der Gefängnisstadt Celle“? Nein. In Riesa, zwischen Dresden und Leipzig gelegen, plant man nach der gescheiterten Olympiabewerbung Leipzigs, die man aufrichtig und tatkräftig unterstützt hatte, das Zepter nun selbst in die Hand zu nehmen und die Spiele 2020 im Alleingang zu holen. Ruft man deshalb zur Begrüßung: „Willkommen in der Sportstadt Riesa“? Ja. Aber das ist nur ein Grund mehr, dieser Unsitte skeptisch gegenüberzustehen. Denn wer möchte sich ausmalen, wo wir hinkämen, würde sich jedes noch so kleine Kaff irgendeine regionale Besonderheit an den Namen heften: „Willkommen in Eschede, der Stadt, in der eines der fürchterlichsten Zugunglücke in der Geschichte der deutschen Bahn …“ Wir erreichen die brennende Obdachlosenunterkunft Halberstadt“; „Königstein, Zentrum im Herzen des GAU-Kreises Sächsische Schweiz“ oder „Wurzen: Ort des Grauens“. Wer würde das wollen? Warum also „Universitätsstadt Halle“?

Steigt man in Halle aus, stößt man auf eine aberwitzige Hochstraße, die zwei so gigantischen wie leer stehenden Wohntürmen aus den 70ern zu Füßen liegt. Man gelangt dann automatisch in einen nicht enden wollenden Fußgängertunnel, der verschlungen zu unbekanntem Ziel führt und immer wieder von undurchsichtigen Baustellen unterbrochen wird. Nicht bestimmbare Kabel quellen aus herausgenommenen Deckenplatten, und Pfeile mahnen zum Weitergehen. Nach langer Wanderung durch die beklemmende Düsternis kommt man in einer beschaulichen, wenn nicht menschenleeren Fußgängerzone heraus, gesäumt von verwahrlosten Plattenbauten. Hinter diesen verblassten Versprechen der Planwirtschaft aber befindet sich völlig überraschend eine sehr attraktive Altstadt. Der Kontrast zwischen Gründerzeitfassaden, die enge Gassen bilden und erwähnten Klotzbauten stimmt den Besucher milde, man begreift, was den Reiz dieser Stadt ausmacht. Halle ist ein Kaff, das die Allüren einer Metropole zeigt, und über allem liegt der Glamour des Verfalls. Wer daran Geschmack findet, möchte wiederkommen, schon wegen der unzähligen Fotomotive. Warum also heißt es nicht einfach: „Willkommen in Halle“?

Der Zug fährt jedenfalls weiter nach Oldenburg (Oldb.), und gut zwei Stunden später erreicht er Hannover. Von mehreren Bahnsteigen dröhnen sich überlagernd und selbst ins Wort fallend die automatisierten Ansagen: „Willkommen in der Expo und Messestadt Hannover, Welcome to Expo City Hannover.“ Fünf Minuten in diesem Stimmgewirr, und man wird wahnsinnig. Es ist stimmt eben doch: Nichts ist doofer als Hannover.

GREGOR MOTHES