Der Tiger und die Sexorzisten

ENTSCHULDIGUNG Vor seinem Comeback als Sportler musste sich Tiger Woods am Montag erneut als Sünder bewähren – beim dubiosen Ritual einer öffentlichen Selbstbezichtigung

Nun ist Tiger Woods vor allem ein Unternehmen mit Umsätzen in Milliardenhöhe, an dessen Funktionieren die angeschlossenen Industrien und Sponsoren ein lebhaftes Interesse haben

VON ARNO FRANK

Jeder scheint heute zu wissen, dass normale Männer nur gelegentlich an Sex denken und dieser leicht anrüchigen Beschäftigung höchstens im Rahmen einer funktionierenden Beziehung nachgehen. Niemand aber kann erklären, warum neuerdings ausgerechnet reiche und berühmte Männer die Möglichkeit zum spontanen Geschlechtsverkehr mit vielen verschiedenen Frauen nutzen. Es ist eines der großen und bisher ungelüfteten Menschheitsrätsel. In einer aktuellen Folge der US-Serie „Southpark“ wird zur Klärung dieser ernsten Frage sogar eine Regierungskommission gegründet. Liegt’s an Chemikalien in der Wasserversorgung? An der globalen Erwärmung?

Eine weitere Befragung – man könnte auch sagen: Inquisition – zum Thema wurde am Montagabend aus den Räumen eines Golfclubs im US-Bundesstaat Georgia wegen des enormen Interesses weltweit übertragen. 36 Minuten lang beantwortete der Experte Eldrick „Tiger“ Woods hochkonzentriert und mit athletischer Disziplin die immergleichen Erkundungen der anwesenden Journalisten. Da stellt sich also ein Mann den Fragen von ausschließlich Männern: Warum hat er seine Frau betrogen? Was ist dabei am schwierigsten gewesen? Warum hat er gelogen? Warum hat er so lange gelogen? Warum lügt er jetzt nicht mehr?

Mit dieser dubiosen Veranstaltung „stellte“ sich der im vergangenen November bei einem „Sexskandal“ ertappte und inzwischen geläuterte Golfprofi drei Tage vor seinem sportlichen Comeback der „Öffentlichkeit“. Damit tat Woods trittsicher einen weiteren der vier notwendigen Schritte, die der Soziologe Erving Goffman in seinem „korrektiven Modell“ einmal als notwendig zur korrekten Ausräumung gesellschaftlicher Normverstöße festgelegt hat: Mit seiner redundanten sprachlichen Selbstverurteilung erklärt der Delinquent unterschwellig nichts anderes als das weitere Vorhandensein der von ihm gebrochenen Verhaltensregeln, zur Beruhigung aller Unbeteiligten. Daher das exorbitante Interesse an der ganzen dummen Geschichte.

Das grundsätzlich Verlogene besteht nun darin, mit der unterwürfigen Zurschaustellung der eigenen Zerknirschung symbolisch eine „Ordnung“ wiederherstellen zu wollen, die gar keine Ordnung ist – sondern immer schon ein sittlich-utopisches Phantasma war. Die absolute Selbstverständlichkeit menschlicher Promiskuität wird hierbei nicht problematisiert, um sie offen zu diskutieren. Sie wird pathologisiert, um sie stillschweigend zu exorzieren.

Trotzdem zeigen Beispiele von Bill Clinton bis David Letterman, dass das Ritual der Selbstbezichtigung im angloamerikanischen Kulturraum tatsächlich eine segensreich exkulpierende Wirkung entfalten kann. Dass dergleichen hierzulande einfach nicht funktionieren will, wurde von manchen Medien zuletzt beim tragischen Rücktritt der bischöflichen Verkehrssünderin Margot Käßmann bedauert: Einmal mit roten Ohren vor die Kameras getreten, schon wäre alles wieder gut gewesen!

Nun war Tiger Woods keine moralische, sondern eine sportliche Autorität – und als solche ein Unternehmen mit Umsätzen in Milliardenhöhe, an dessen reibungslosem Funktionieren die angeschlossenen Industrien und Sponsoren ein lebhaftes Interesse haben. So hat der Sportartikelhersteller Nike in einem Anflug christlicher Nächstenliebe bereits signalisiert, den reuigen und inzwischen therapierten Sünder auch künftig wieder als Zugpferd seiner Werbekampagnen einsetzen zu wollen.

Warum auch nicht? Selten haben sich so viele Menschen so brennend für einen so langweiligen Sportler interessiert. Und nebenbei hat Woods seinen Sport auch noch von einer diskreditierenden Scherzfrage befreit, indem er sie auf seine Weise beantwortete: „Spielst du schon Golf oder hast du noch Sex?“