Am Ursprung der Ruhrindustrie

Die Wiege der Ruhrindustrie ist heute Wohngebiet. Mit Park, Teich und Fachwerkhaus

AUS OBERHAUSEN DIRK ECKERT

Die ersten Grundmauern liegen schon frei. Deutlich ist ein Gewölbe am Boden zu erkennen. Ein Rauchabzug, dazu Mauerreste, die die Archäologen als Fundamente des Kesselhauses deuten. Nur vier Tage brauchten die Ausgräber, um die ersten Überreste der alten Eisenhütte St. Antony in Oberhausen freizulegen. Es ist nicht irgendeine Hütte, die das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege da ausgräbt. Hier, im Oberhausener Stadtteil Osterfeld, ist sozusagen die Wiege der Ruhrindustrie. Im Jahr 1758 nahm der Münsteraner Geistliche Franz Ferdinand von Wenge an dieser Stelle den ersten Hochofen des Ruhrgebiets in Betrieb. Nachdem der Kölner Erzbischof als zuständige Autorität die Genehmigung erteilt hatte, konnte in der Eisenhütte produziert werden – vor allem Pottwerk wie Gusstöpfe, Pfannen sowie Gewichte aus Gusseisen.

Osterfeld war der ideale Standort für die Eisenproduktion: Eisenerz gab es in der Emscher-Lippe-Gegend, Holzkohle im Umland. Der Elpenbach betrieb über ein Wasserrad das Gebläse, mit dem die Temperaturen im Hochofen in die Höhe getrieben wurden. Heute ist von alle dem nichts mehr zu sehen. Der Oberhausener Gasometer, die großen, mittlerweile stillgelegten Industrieanlagen, für die die Ruhrmetropole so bekannt ist, sind weit weg. Der Stadtteil Osterfeld ist vor allem Wohngebiet. Mittendrin finden sich ein Park, ein Teich und ein idyllisch anmutendes Fachwerkhaus. Nur die Bushaltestelle verrät etwas von der Geschichte des Ortes: St. Antony-Hütte steht auf dem Schild.

Direkt neben der Haltestelle beginnen die archäologischen Ausgrabungen. Grabungsleiterin Julia Opladen-Kauder vermutet, dass hier die Reste des Herzstücks der Eisenproduktion liegen. Vor allem auf den Bereich um den alten Hochofen haben es die Archäologen abgesehen. Alte Karten weisen den Weg – und doch bleibt die Sache bis zum Schluss spannend. Zwar hätten Archäologen „eine gewissen Erwartungshaltung“, sagt Jürgen Kunow, der Leiter des Rheinischen Amts für Bodendenkmalpflege. „Aber der Befund vor Ort ist doch immer ganz anders.“

In der Tat konnte das Grabungsteam schon nach wenigen Tagen Mauerreste ausmachen, die auf keiner Karte verzeichnet sind. Die Wissenschaftler rechnen außerdem noch mit Produktionsabfällen, wie sie in Werkstätten typisch sind. Fertige Produkte seien dagegen eher selten. Noch schwerer abzuschätzen ist, was der Boden an so genannten Beifunden hergibt. Eine Steingutflasche aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde bereits entdeckt. Möglicherweise vergessen von den Arbeitern.

Für Oberhausen ist es die erste Grabung dieser Art. Die Erforschung der Industriegeschichte liegt im Trend. „Die Städte interessieren sich zunehmend für ihr industriearchäologisches Erbe“, sagt Jürgen Kunow. Seit 1980 gibt es ein Denkmalschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen, das auch die „Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse“ umfasst. Das Rheinische Industriemuseum hat inzwischen sechs Standorte, an denen die Geschichte der industriellen Entwicklung zu besichtigen ist: in Ratingen zum Beispiel die Baumwollspinnerei Cromford, die der Kaufmann Johann Gottfried Brügelmann dort 1783 errichtete.

Auch in Oberhausen hat das Rheinische Industriemuseum längst einen Ableger. Es ist das Fachwerkhaus gegenüber der Ausgrabungsstelle. Dort wohnte einst der jeweilige Hüttendirektor. 1995 hat das Rheinische Industriemuseum das Haus übernommen. Zu sehen ist dort unter anderem eine Sammlung von Fotonegativen. Derzeit wird das Museum allerdings saniert und ist deswegen geschlossen.

Das Fachwerkhaus ist das einzige Gebäude der Hütte, das überlebt hat. Die meisten anderen Bauten wurden schon 1877 abgerissen, nachdem die Eisenhütte geschlossen hatte. Außer dem ehemaligen Wohnhaus des Direktors blieben nur drei Gebäude stehen. Sie wurden als Wohnhäuser genutzt, bis sie um 1970 ebenfalls abgerissen wurden. Warum, wissen die Forscher nicht. Damals waren die Leute wohl eher froh, wenn die alte Industrieanlagen endlich abgerissen waren, vermutet Kunow. Seitdem war die ehemalige Hütte eine Brache.

Trotzdem ging das Wissen darüber, dass hier einst eine Eisenhütte stand, nicht verloren. Im letzten Jahr entschied sich der Landschaftsverband Rheinland (LVR), nach den Zeugnissen der Vergangenheit zu suchen. Die Buddelei sollen in wenigen Monaten abgeschlossen sein. Danach wird entschieden, wie weiter verfahren wird. „Das hängt ab von den weiteren Grabungsergebnissen“, sagt LVR-Kulturdezernentin Milena Karabaic. Derzeit wird geplant, die Funde zu konservieren und dann der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bis 2008 soll alles fertig sein – pünktlich zum 250. Jahrestag des ersten Hochofenabstichs, der als Geburtsstunde der Ruhrindustrie gefeiert werden soll. Oberhausen habe ja schon viel für den Tourismus zu bieten, freut sich Oberbürgermeister Klaus Wehling. „Dass wir jetzt auch in den archäologischen Bereich vordringen, damit hätte ich nicht gerechnet.“