Fern von Mief & Pief

Jan Feddersens Gastro-Kritik: eine kleine Bedienungsanleitung für einen Besuch in der Newton-Bar in Berlin-Mitte

Wollen Sie den Eltern aus St. Ingbert, Lüdenscheid oder Bad Schandau mal so echt imponieren, wenn sie zu Besuch kommen? Mal zeigen, was die Differenz zwischen Gediegenheit und Protz ausmacht? Gehen Sie dorthin, wo Berlin sich selbst für eine Visitenkarte hält, metropolitan, fern von Mief & Pief – also zum Gendarmenmarkt. Gehen Sie vorher an der Friedrichstraße, schräg gegenüber von den Galeries Lafayette, zu Butter Lindner, und kaufen Sie etwas in Teig gerollte Nahrungsmittel.

Und atmen Sie nicht schwer, sondern leis, unhörbar, wenn Ihr Besuch „wrap“ nicht aussprechen kann und das w vor dem r zur Stimme bringt wie in dem Wort „auswringen“ oder „Wrack“. Das unterscheidet sie, das werden Ihre Gäste mögen – denn darauf bauen sie ja alle: dass das Mädchen, der Junge in Berlin es zu etwas bringt. Und sei es zum Blick für die feinen Unterschiede. Aber dann bitte gleich weiter, vorbei am Borchardt, dorthin, wo Schröder und Fischer und Trittin und all die anderen Rot-Grünen zu Hofe baten. Der Traumtipp, noch heute, Merkel zum Trotz: die Newton Bar.

Das ist eine Bar, die von dem gleichnamigen Fotografen – nackte Weiber auf Pömps und Lebensdesinteresse verströmend – inspiriert und eingerichtet wurde. Seine künstlerischen Zeugnisse sind dort zu sehen, solche, die auch Air haben, ästhetisches Surplus versprechen, wenn man sie in die Kunstgeschichte der Post-Holocaust-Ära einzuordnen vermag: alles harte Ironie, Statement. Wie das Lokal selbst.

Man hat eine Zigarrenlounge, das gehört seit Schröder dazu. Etwas Fastfood wird angeboten, edel, Baguettes, Sandwiches, „gepflegt“ preist das Haus sich selbst. Bestellen Sie einen trockenen Rieslingsekt: Das ist der Mumm der Stände, die nach oben wollen. Kultiviert kann man auch sagen, schöne Menschen illustrieren, ja, beglaubigen die Stätte. Hier ist manchmal Berlinale, dann wieder Polithintergrundgespräch. Die Toilette ist von superber Originalität, man pinkelt in Kunst quasi.

Der Clou aber ist die Newton Bar erst in den warmen Jahreszeiten: Dann gibt es draußen keine Stühle – sondern Wohnlandschaften, tiefe Sofas, in denen man leider etwas zu plompig einsinkt. Aber das muss so sein, denn Bürgerlichkeit will sich ja versenken, es schaffen – und nicht mehr verstoßen werden können. Alles ist teuer dort: Schön so. Ihr Besuch wird es Ihnen danken. Und, noch dies: Trinkgeld nicht unter 20 Prozent. Oder wollen Sie als Besuch erkannt werden?

Newton Bar, Charlottenstr. 57, 10117 Berlin, www.newton-bar.de, Fon (0 30) 20 61 29 99. So.–Do. 10–3, Fr., Sa. bis 4 Uhr. Sommers mit Mobiliar zur Straße. Getränke ab 2 €, Leitungswasser bestellen nicht verpönt. Zigarrenlounge: Aufenthalt gratis, das Rauchwerk nicht