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Auf der Bremer Messe jazzahead stellte sich die deutsche Szene am vergangenen Wochenende dem Urteil internationaler Experten

„Garbage“, sagt Bill Shoemaker, wenn man ihn nach seiner Meinung über Stuart Nicholson neues Buch „Is Jazz Dead? (Or has it moved to a new adress)“ (Routledge, 270 S., 19,95 Dollar) fragt. Genauso hatte der schwarze Jazzpublizist Stanley Crouch schon vor drei Jahren geantwortet, als Nicholson seine These von der neuen europäischen Jazzpower zum ersten Mal vorstellte, in der New York Times. Doch zwischen Shoemaker, Crouch und Nicholson liegen Welten. Crouch verkündet, dass aus Europa keine Bereicherung des Jazz komme, ja, nicht kommen könne – der Puls der afroamerikanischen Ästhetik fehle und norwegische Folklore oder die Klangwelt des Balkans habe mit Jazz nichts zu tun. Der englische Jazzautor Nicholson kritisiert, dass die amerikanische Jazzöffentlichkeit es verpasst habe, auf die Globalisierung zu reagieren.

Der amerikanische Jazzpublizist Shoemaker hingegen setzt sich nicht nur in seinem Internet-Magazin www.pointofdeparture.org für einen anderen Blick auf die europäische Szene ein. Von ihm stammen auch die Porträts europäischer Protagonisten wie Enrico Rava, Peter Brötzmann und Evan Parker in der vor zehn Jahren noch als eher konservativ eingeschätzten US-Zeitschrift Jazz Times. Mittlerweile habe sich die Wahrnehmung der europäischen Jazzszene in den USA etwas gewandelt, berichtet Shoemaker – damals habe kaum einer gewusst, wie man über europäischen Jazz schreiben solle.

Bei der ersten deutschen Jazzmesse „jazzahead“, die vom 23. bis 26. März in Bremen stattfand, gehörten Nicholson und Shoemaker zu einer hoch kompetenten Riege internationaler Festivalveranstalter und Journalisten, die man mit Hilfe von Bundeskulturmitteln eingeladen hatte, um aktuellen, in Deutschland gespielten Jazz zu begutachten. Das Festival im Rahmen der ersten jazzahead heißt „German Jazz Meeting“, eine Experten-Jury hatte dafür 14 Bands ausgewählt, die in der Lage sein sollten, sich auch auf internationalem Niveau präsentieren zu können. Und so skeptisch man sich auch näherte – es hat geklappt. Die Veranstalter vermelden großen Erfolg und die internationalen Gäste – über 60 Jazzfachleute aus 27 Ländern – zeigten sich von der schlau inszenierten Musik begeistert.

Besonders die Pianistin Aki Takase, der Posaunist Nils Wogram, der Bassklarinettist Rudi Mahall, der Saxofonist Daniel Erdmann und die Saxofonistin Angelika Niescier wurden immer wieder genannt, wenn man die Festivalmacher aus China, USA oder Mazedonien fragte, was besonders gefällt. Ken Pickering aus Vancouver, Leiter eines der weltweit größten Jazzfestivals, kannte zwar den in Berlin lebenden Rudi Mahall schon, Bands wie Der Rote Bereich hat er aber noch nicht in Kanada präsentiert. Das könnte sich nun ändern – doch dafür braucht es nicht nur internationale Festival-Netzwerke, sondern auch die Bereitschaft der deutschen Kulturpolitik, in die Jazzszene zu investieren. Auch Pickerings Kollege John Gilbreath vom Earshot Jazz Festival in Seattle weist darauf hin, dass es auf den langen Atem ankomme. Nur für einen Gig reist keiner in die USA – wer touren will, braucht Visa und Infrastruktur, und das koste nun mal Zeit, Nerven und Geld. Bei ihm in Seattle spielte am Samstag gerade das ICP Orchestra aus Amsterdam, wo man mit dem Dutch Jazz Meeting schon seit Jahren erfolgreich den holländischen Jazz einem internationalen Fachpublikum präsentiert. Und so könnte es nun auch mit dem German Jazz Meeting gehen – in Bremen zeigte sich die Szene sehr vielfältig, wagemutig und flexibel.

Ratlosigkeit herrscht jedoch, wenn es darum geht, den identitären Kern der hiesigen Szene zu benennen, das, was an dieser Musik das Deutsche sein könnte. Folkloristische Festlegungen wie in Italien oder Norwegen sind kaum auszumachen, auch mit der dadaesken Seriosität der holländischen Szene hat die Musik nichts zu tun. Shoemaker fühlt sich eher an rhythmische und harmonische Experimente erinnert, wie sie der amerikanische Komponist George Russell Ende der Fünfziger initiierte – mit neuen Formen, Inhalten und Verweisen – ein Up-Date des experimentellen Jazz sozusagen.

Dass weltweit junge Menschen heute das Grundvokabular des US-Jazz beherrschen, bezeichnet Nicholson in seinem Bremer Buchvortrag als Globalisierungseffekt. In der globalen Jazzcommunity hätten sich Subkulturen herausgebildet, die jeweils mit ihrer soziokulturellen Umgebung eng vernetzt sind. Er nennt eine Konzept-CD wie „Great German Songbook“ (ACT), auf der sechs junge, durchaus angesagte deutsche Jazzmusiker wie der Schlagzeuger Eric Schäfer und der Saxofonist Florian Trübsbach staubige Stücke wie „Kauf dir einen bunten Luftballon“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ interpretieren – für Nicholson ein Beispiel dafür, wie man die „große Tradition des deutschen Songs als eigene kulturelle Identität in der Musik“ wiederfinde.

Was dann doch sehr kurz gegriffen ist. Doch dass Nicholsons Welt recht einfach gestrickt erscheint, dürfte damit zu tun habe, dass ihm der offene Zugang zur aktuellen Musik abgeht – von Wogram, Mahall, Erdmann und Takase gibt es in Nicholsons Buch keine Spur. Wenn man zudem noch die experimentierfreudigen amerikanischen Musiker ignoriert, tue man der europäischen Szene sowieso keinen Gefallen, fügt Shoemaker noch hinzu. Wer so recherchiert, werde lediglich Opfer seiner Sturheit.

CHRISTIAN BROECKING

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