Oper für Proletarier

OPEN AIR AM LANDWEHRKANAL

Mit Meeresrauschen hat der Landwehrkanal üblicherweise nichts zu tun

Der Mann weiß nicht recht, wie er seinem englischsprachigen Freund den Weg zum Dreiländereck am Landwehrkanal beschreiben soll. Also zu jener Stelle, an der Kreuzberg, Treptow und Neukölln aufeinanderstoßen. „You just walk along the shore“, ruft er schließlich ins Handy. „Shore“ – „Küste“, das klingt nach Wellenbrechern und Meeresrauschen. Damit hat der Landwehrkanal üblicherweise nichts zu tun. Trotzdem passt das Wort an diesem Donnerstagabend. Groß und erhaben wirkt der Kanal gerade tatsächlich.

Ein mit goldenen Stoffen verhängtes Schiff schwimmt auf dem Wasser, es glitzert im Scheinwerferlicht. Eine Frau mit Krone steht auf dem Kajütendeck, ihre Stimme klingt hell über den Uferstreifen. Mehrere hundert Zuschauer haben sich auf Decken niedergelassen. Einige sind in Abendgarderobe erschienen, andere im Kapuzenpulli. Kerzen auf Kronleuchtern verbreiten warmes Licht. „Das ist Berlin“, sagt eine Zuhörerin leise.

Veranstaltet wird das OpenAir-Konzert von der Wolfsbühne, hinter der sich die Schauspielerin und Autorin Dominique Wolf verbirgt. Sie konnte die südkoreanische Sopranistin Moon Suk für den Auftritt gewinnen.

Zugegeben: Ich bin seit Jahren nicht in die Oper gegangen. Der Gesang gefällt mir meistens nicht, ich empfinde ihn als übertrieben. Doch wenn die Oper schon zu mir kommt, schaue ich mir das an. Und ja, es ist schön, wie Moon Suk singend klagt und jubiliert. Hilfreich dabei ist sicherlich, dass sie ein Best-of der Arien ausgewählt hat, aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ etwa oder Verdis „La Traviata“.

Nach einer knappen Stunde wendet das Schiff und fährt davon. Applaus an Land. Eine im Dunkeln schwer zu definierende Gestalt bedankt sich grölend im Namen des „Proletariats“ für „die Kultur“ – um dann Viva-Rufe und „Olé-olé-olé“ anzustimmen. Heiteres Gelächter. Münzen fallen klimpernd in einen Hut.

ANTJE LANG-LENDORFF